Der Eiserne König
weiter toste der Fluss durch das Himmelstor.
Die Welse lagen noch auf dem tiefen Grund.
Am Rand des Föhrenforstes hatte man Unterstände errichtet, an den Seiten offen und gedeckt mit Zweigen, die vor Nässe schützten und zugleich den Rauch abziehen ließen. Hier hatte das Heer Stellung bezogen. Späher waren auf die Bäume geklettert, obwohl man in Regen und Dunkelheit kaum etwas sah.
»Das ist unnatürlich«, sagte Hilck von der Usse. »Sollen wir eine Schlammschlacht ausfechten? Ich habe die Nase voll.«
Die Anführer der Truppenteile und die Gefährten hatten sich im Unterstand der Gografen versammelt. Das Feuer schwelte mehr, als dass es brannte, und der stinkende Rauch wölkte so stoßweise, als würden die Flammen husten.
Die Muhme hockte auf einem Holzklotz und schmauchte ihre Pfeife. »Ja«, erwiderte sie. »Ich glaube inzwischen auch, dass hier jemand seine Hand im Spiel hat. Aber warum?«
»Willkür«, brummte Hilck. »Man will uns ärgern.«
»Die Reiterei berichtet, dass die Streitmacht des Feindes nur schleppend vorankommt«, warf Harlung ein. »Der Regen hält sie auf. So gewinnen wir Zeit.«
»Zeit wofür?«, knurrte Hilck. »Wenn im Föhrenforst keine Pilze, sondern Männer wachsen würden, wäre der Regen vielleicht nützlich. Aber so?«
Rumpenstünz und Sneewitt tauschten einen ratlosen Blick.
»Ob Hans Hilfe findet?«, fragte Sanne.
»23-100-28«, murmelte Reineke Fuchs. »Fünf Füchse hat die Hand … Das ist die Rettung … Zahlenmagie …«
»Hör endlich auf mit dem Blödsinn«, fauchte der Dachs.
Aber der Fuchs hatte im Halbschlaf geredet und war schon wieder eingedämmert.
Der Gograf beugte sich gemeinsam mit Harlung und den Anführern der Truppenteile aus dem Lohwald, Flutwidde und der Hohen Heide über eine grobe Landkarte. Ein ehemaliger Räuberhauptmann, der sich im Gelände auskannte, war auch dabei. Er tippte auf das Pergament und sagte: »Diese Stelle an der Fusel ist gut für eine Schlacht geeignet. Der Feind müsste einen Sumpf durchqueren, und wir könnten auf diesem Hügel Stellung beziehen. Das würde uns einen Vorteil verschaffen.«
»Das ist der Unkengrund«, sagte der Anführer der Männer von der Hohen Heide. »Ein Landstrich, der fast so verrufen ist wie der Königskessel.«
»Warum?«, fragte Alwine, die nicht von Rumpenstünz’ Seite wich.
»Irrlichter, Wiedergänger – dort soll es spuken, junge Dame.«
»Ich war im Königskessel«, sagte Meister Grimbart zu Sanne. »Ich war sogar in der Grabkammer des Eisernen Königs. Und dort spukt es auch nicht.«
»Hmm …«, brummte Hilck von der Usse und trommelte mit den Fingerspitzen auf die Landkarte.
Da bat ein Ritter um Einlass. Er war nass bis auf die Haut. »Ich bringe einen Gefangenen, Herr«, sagte er zum Gografen.
Der nieste herzhaft, dann erwiderte er: »Bringt den Schuft herein. Wo habt ihr ihn festgesetzt? Und wie geht es meinem Bruder?«
»Euer Bruder ist wohlauf, Herr. Dank des Regens können wir immer wieder Überraschungsangriffe reiten. Unsere Verluste sind gering. Und der Mann …« – er trat beiseite, als die anderen vier Ritter den Gefangenen hereinführten – »… hat sich freiwillig ergeben.«
Beim Anblick Grimms trat Totenstille ein. Sanne erstarrte, und Sneewitt erbleichte, was in Anbetracht ihrer hellen Haut fast unmöglich war. Die Muhme nahm die Pfeife aus dem Mund.
»Grimm!«, knurrte Rumpenstünz, der Alwine hinter seinen Rücken schob.
»Freut mich, dass ich noch gefürchtet werde«, sagte Grimm, und auf seinem Narbengesicht breitete sich so etwas wie ein Lächeln aus.
»Er hat sich ergeben?«, fragte Hilck von der Usse.
»Nun, ja«, erwiderte der Ritter. »Es war sonderbar – er wurde von der Wilden Jagd verfolgt, nachdem er die feindlichen Linien durchbrochen hatte.«
Reineke Fuchs, der schnorchelnd erwacht war, rief: »Das ist eine Finte! Eine Falle! Der Mann ist ein Monster!«
Grimm lachte lauthals. »Ich bin vielleicht nicht euer Freund«, sagte er. »Aber ich bin der Feind eurer Feinde.« Dann wandte er sich an den am Kartentisch stehenden, ehemaligen Räuber und fragte: »Du kennst Zinken, oder? Wir haben gemeinsam das Haus der weisen Weiber niedergebrannt.«
»Die Weiber machen den Regen«, keckerte der Fuchs.
»Die Weiber sind tot«, knurrte Grimm, der wütend an den Stricken riss. »Und ihr Haus ist ein Haufen Asche.«
Die Muhme senkte den Kopf. Schwer zu sagen, ob in ihrer Miene Trauer oder Genugtuung zum Ausdruck kamen.
»Wir hatten
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