Der Eiserne König
grauen Morgen. Da hörte er es erneut – das Zwitschern. Er erhob sich mit steifen Gliedern und kroch aus der Eiche, sah sich um. Vor ihm lag der zu Heerweg und Welsfluss abfallende, kurze Hang, hinter ihm ballten sich die kahlen Bäume Isarnhos, und wiederum dahinter ragten die Steilwände des Gretings auf. Hans ging zu seinem Pferd, strich über Flanke, Widerrist, Nacken und Nüstern und klopfte ihm beruhigend auf den Hals, während der Regen von den Zweigen tropfte. Wann hörte es endlich auf, wie aus Kübeln zu schütten?, fragte er sich. Da erklang Gezwitscher, und er hob den Kopf. Im nächsten Augenblick ließen sich Maleens Vögel auf seinen Schultern nieder.
Hans war erleichtert. Zeisig und Sperling mochten klein sein, aber sie konnten als Boten dienen, und er fühlte sich weniger allein. Er kroch in den hohlen Stamm, fütterte die Vögel mit ein paar Körnern des Hafers, den er für sein Pferd mit sich führte. Dann aß er etwas Brot, Dörrfleisch und Trockenobst, hängte dem Kaltblüter den Futtersack vor das Maul und zurrte den Sattel fest. Nachdem er aufgesessen war, tat sich die Schneise im Regen auf.
Zeisig und Sperling saßen auf seinen Schultern. Er hatte zwar von der weißen Schlange gegessen und verstand die Sprache der Tiere, konnte den Vögeln aber nur mit Mühe folgen. Wie er ihrem Gezwitscher entnahm, versuchte Maleen vergeblich, die grüne Kraft zu stärken, und die Esche – sie wollte sterben. Die Ragnarökk hatten recht gehabt. Hans wurde von einem Gefühl der Sinnlosigkeit erfüllt. Während der Kaltblüter nach Osten trabte, starrte er zu Boden. Links und rechts klatschten Tropfen in die Pfützen auf dem Heerweg, hagelten in den Matsch. Hans nahm nicht wahr, dass sich das Himmelstor weitete und der Greting abzuflachen begann. Der Welsfluss wand sich im weiten Bogen nach Süden, sein Tosen blieb zurück. Die zwei Vögel waren verstummt; sie schmiegten sich an Hans’ Hals. Als der Kaltblüter schließlich hielt, war der Tag weit fortgeschritten, und sie befanden sich kurz vor der Hohen Heide in den Ausläufern des Gretings. Hans sah auf und stellte fest, dass sich ein Sumpf vor ihnen ausbreitete. Die Schneise schloss sich, und der Regen prasselte auf Ross und Reiter. Hans fluchte, zumal auch noch Stechmücken aus dem Sumpf herbeisummten; eine ließ sich dreist auf seiner Nasenspitze nieder. Er riss sich zusammen und dachte an Ohm Tobias, den Greis aus seiner Kindheit, der bei der Belästigung durch Insekten stets gesagt hatte: ›Nun hau schon ab, armes Ding, hau ab. Warum sollte ich dir weh tun? Die Welt ist doch wohl groß genug für uns beide.‹ Er versuchte, die Mücke in den Blick zu bekommen.
»Du schielst«, surrte sie leise, aber vernehmlich. »Ist dir klar, wie dämlich du aussiehst?«
»Spendest du Blut?«, säuselte eine andere Mücke, die sich auf seinen Nasenrücken setzte. »Ist für eine gute Sache.«
»Ihr kitzelt mich«, zischte Hans. »Haut ab.«
»Heho!«, rief die erste Mücke. »Ich kenne den Kerl. Er hat mich im Sommer schon einmal verschont. Gibt es außer ihm noch einen Menschen, der nicht nach Mücken schlägt?«
»Wohl kaum«, erwiderte die zweite Mücke. »Warte, ich hole unseren Mückenmeister.« Sie summte davon und kehrte bald darauf mit einer Stechmücke zurück, die sich am Kaltblüter vollgesogen hatte.
»Dieser Kerl klatscht uns nicht ab«, erklärte die erste Mücke. »Ist das nicht außergewöhnlich?«
Der Mückenmeister rülpste Pferdeblut. Dann sagte er: »Das ist entweder edelmütig oder übermenschlich oder einfach nur dumm.« Er summte vor Hans’ Gesicht auf und ab, als wollte er dessen Charakter ergründen. »Unrasiert …«, sagte er. »Das erschwert uns das Stechen und Saugen.«
»Aber er verschont uns, weil er unser Dasein achtet«, rief die zweite Mücke. »Ich finde, das müssen wir ihm gedenken und vergelten.«
»Vergeltung fand ich immer gut«, surrte die erste Mücke.
»Na, gut«, brummte der Mückenmeister. »Wie können wir dir die gute Tat vergelten, Lulatsch?«
Hans, dem Maleens Worte einfielen – Mücken und Ameisen werden sich beweisen –, schilderte die Lage ein weiteres Mal.
»Gelbes Karontidenblut!«, jubelte die erste Mücke. »Das ist eine Delikatesse.«
»Haben die Wesen der Wilden Jagd wirklich grünes Blut?«, surrte die zweite Mücke. »Davon würde ich gern kosten.«
»Wenn wir das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden können«, sprach der Mückenmeister, »bin ich ohne Wenn und Aber für
Weitere Kostenlose Bücher