Der Eiserne König
er ihn erreicht hatte, sackte die von den Ragnarökk freigehaltene Schneise über ihm zusammen; wenige Atemzüge später war er klitschnass. Das Dämmerlicht des anbrechenden Abends suppte durch den Regen, während er um den Felsen ritt. Hier hatten sie Grimm mit Hilfe der Wildschweine in die Flucht geschlagen und Maleen befreit. Sollte er die Keiler fragen? Aber die Tiere hielten sich heraus, und die Maulwürfe halfen nur, weil sie … nun, ja – weil sie noch etwas Ehre im Leib hatten.
Er zügelte den Kaltblüter unter einem Felsvorsprung und ließ den Blick über den grasigen Abhang gleiten. Er lachte, als er sich an den Tanz erinnerte, den der von Ameisen gepiesackte Grimm aufgeführt hatte. Wo mochte er wohl sein? Sie waren ihn sicher noch nicht los. Dann stutzte er. Rieb das nasse, von blonden Stoppeln bedeckte Kinn und starrte ins Leere – die Ameisen! Er saß ab, gab seinem Kaltblüter einen Klaps und ging durch den Regen zum hohlen Stamm, auf dem Maleen ausgepeitscht worden war. Dort stand die Ameisenburg, ein verwaister Nadelhaufen. Beim Wolfsfelsen schnaubte das Pferd, die Steilklippen ragten himmelhoch auf. Hans wischte die Nase am Ärmel ab. Seine Körperwärme sorgte für eine unerträgliche Klammheit unter dem Harnisch, das Hemd klebte auf seiner Haut, seine Brustwarzen waren wundgescheuert. Tropfen trommelten auf Kopf, Schultern und Arme, aber davon abgesehen tat sich nichts. Er wollte gerade umkehren, als sein linkes Ohr juckte. Er riss instinktiv den Arm hoch, um sich zu kratzen.
Eine leise Stimme zischte: »Vorsicht, Vorsicht. Ich sitze auf deinem Ohrläppchen.«
Hans erstarrte. Er spürte ein Kribbeln, ein Krabbeln wie von winzigen Beinen und begriff, dass es eine Ameise war.
»Jetzt bin ich in deinem Ohr«, sagte das Insekt. »Hier ist es warm und trocken.«
»Ich wünschte, ich könnte mich auch irgendwo verkriechen«, murmelte Hans.
»Ich kenne dich«, zischelte die Ameise. »Du hast den Grobian vertrieben, der viele von uns achtlos in den Dreck getrampelt hat. Wir hatten viele Tote zu beklagen. Er hat auch unsere Burg beschädigt. Die Wiederherstellung war sehr mühsam.«
»Gern geschehen«, sagte Hans, der den Impuls unterdrückte, sich am Ohr zu kratzen. »Aber um ehrlich zu sein, war das nicht unser vordringlichstes Ziel. Wir wollten Maleen retten.«
»Ihr habt auch uns vor Schlimmerem bewahrt«, erwiderte die Ameise. »Das wollen wir euch gedenken und vergelten.«
»Wir könnten tatsächlich Hilfe gebrauchen«, sagte Hans. »Im Kampf gegen den Eisernen König.«
»Warte hier«, zischte die Ameise.
Er spürte, wie sie aus seinem Ohr krabbelte. Dann erblickte er das kleine, schwarz-rote Insekt auf seinem Ärmel – es war eine Arbeiterin. Gleich darauf war sie in der Ameisenburg verschwunden. Hans kratzte sich und sah zu seinem Pferd, das geduldig unter dem Felsvorsprung stand. Schließlich kam die Ameisenkönigin zum Vorschein, die in der untersten Erdkammer hauste, wo sie unablässig ihre Eier legte. Sie eilte an Hans hinauf und krabbelte in ein Ohr, dieses Mal in das rechte. Er zuckte zusammen und wechselte das Standbein, während die Königin in seinem Ohr den besten Platz suchte. »Huuuh«, stieß er durch zusammengebissene Zähne hervor und ballte die Fäuste.
»Ich lebe viele Lenze«, sprach die Ameisenkönigin, nachdem sie es sich gemütlich gemacht hatte, »aber meine Untertanen weilen nur wenige Jahre auf dieser Welt. Wenn sie vorzeitig durch rohe Gewalt sterben, ist das entsetzlich. Wir danken euch für eure Hilfe. Wie kann ich es euch vergelten?«
Hans schilderte die Lage und vergaß nicht, die Maulwürfe zu erwähnen. Seine Haare troffen, Wasser tropfte von der Nase. Er hatte am ganzen Körper eine Gänsehaut und trat von einem Fuß auf den anderen.
»Schwierig«, sagte die Ameisenkönigin. »Wir sind winzig. Aber auch wir leiden am Schwund der grünen Kraft. Ich will mein Bestes tun, um euch zu helfen.«
Hans konnte noch ein »Danke« hervorstoßen, bevor sie sein Ohr verließ und sich wieder in ihre Burg begab. Dann wich er zurück, wobei er achtgab, ja keine Ameise zu zertreten. Beim Wolfsfelsen schwang er sich auf den Sattel und wartete. Nach einer Weile teilte sich der Regen, und er folgte der Schneise bibbernd nach Osten. »Ich brauche ein Feuer«, murmelte er. »Feuer und Wärme …«
Der Kaltblüter trabte dahin, als würde ihm das Wetter nichts ausmachen. Seine Zottelhufe patschten in Pfützen, sein helles Fell war regendunkel. Einen Steinwurf
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