Der Eiserne König
nichts.« Sie wandte sich in der Tür noch einmal um: Die Ragnarökk sahen ihr aus großen, feuchten Augen nach. »Ihr seid entweder weise oder verrückt«, sagte sie. Dann trat sie ins Freie und zog die Tür hinter sich zu.
»Nichts wie weg hier!«, rief Rumpenstünz, der schwungvoll aufsaß.
»Da ist mir ja die Wilde Jagd lieber«, zürnte Grimm und riss den Rappen am Zügel herum. »Die Biester sind zwar brutal, reden aber kein Blech.«
Als Sneewitt den Fuß in den Steigbügel schob und nach dem Sattelknauf griff, knarrte die Tür der Hütte, und der Wicht trat heraus. Er ging auf die Reiter zu, die Hände hinter dem Rücken, während die Dame und der Greis in die Tür traten und ihm lächelnd nachsahen.
»Ja, was?«, fragte Rumpenstünz zornig. »Wollt ihr uns noch mehr Blödsinn mit auf den Weg geben?«
Ein Wind fuhr durch Isarnho und ließ die kahlen Äste der Eichen knarren. Der Wicht blieb vor den Reitern stehen und sagte: »Wir helfen nicht.«
Grimm spuckte auf den laubbedeckten Boden. »Dieser Zwerg ist ein Sprachgenie«, spottete er. »Welch ein Wortschatz. Ich küsse ihm gleich die Füße.«
Dame und Greis verharrten auf der Schwelle. Im Gestein der Felswand, die sich hinter der Hütte erhob, wurzelten Bäume, waagerecht wie Galgenschwengel. Der Rappe schnaubte und scharrte mit den Hufen. Sneewitt warf einen letzten Blick auf die Ragnarökk, dann hievte sie sich in den Sattel.
»Hier«, sagte der Wicht laut und vernehmlich, zog die Hände hinter dem Rücken hervor und bot den Reitern drei lederne Bocksbeutel dar, mit Korken zugestöpselt und versiegelt.
Rumpenstünz starrte die Beutel an. »Was ist darin?«, fragte er. »Zaubertränke, die uns in Frösche verwandeln?«
»Ochsensaft, Eberblut und Ziegenmilch!«, rief die Dame.
»Wir brauchen Eber
saft
und Ochsen
blut
!«, brüllte Grimm. »Zur Hölle! Seid ihr wirklich so dumm?«
»Ihr müsst damit vorliebnehmen«, erwiderte der Greis. »Wir haben nichts anderes.«
»Und ihr werdet nichts anderes finden«, ergänzte die Dame.
»Und du«, rief der Greis und zeigte mit zitterndem Finger auf Grimm, »hast diese Hütte nicht zum letzten Mal gesehen.«
Der Wicht sah zu den Reitern auf, die wie Riesen über ihm aufragten. »Wir helfen …«, begann er.
»Sei still«, flehte Rumpenstünz. »Bitte kein Wort mehr.« Er beugte sich vom Sattel und nahm die Bocksbeutel.
»Danke«, murmelte Sneewitt. Dann gab sie ihrem Kaltblüter einen Klaps auf die Kruppe, und das kräftige Tier trabte los.
Nach einer Weile sagte Rumpenstünz: »Kein Neumond. Der falsche Saft. Das falsche Blut. Ein voller Erfolg.«
»Kann man wohl sagen«, murmelte Sneewitt. »Aber der alte Ragnarökk hat recht: Wir müssen mit dem vorliebnehmen, was wir haben.«
Grimm blieb die ganze Zeit stumm. Er sprach erst wieder, als sie die zur Grotte führende Schlucht erreichten. »Ich verlasse euch jetzt«, sagte er. »Hier bin ich nicht mehr von Nutzen.«
»Wohin willst du?«, fragte Sneewitt überrascht.
»Ich reite in die Schlacht«, knurrte er. »Ich werde Barbera zur Rechenschaft ziehen. Sie soll für ihre Untaten büßen.« Er ritt wortlos davon, zügelte sein Ross aber noch einmal, wandte sich im Sattel um und rief: »Viel Glück. Und grüßt mir das Mädchen mit den grünen Augen. Ich war ein Narr.« Er trabte weiter, hielt ein zweites Mal an und schrie über die Schulter: »Ich
bin
ein Narr!«
Dann war er zwischen den kahlen Bäumen verschwunden.
Das Uferschilf raschelte im Wind. Harlung stand missmutig neben einer Kopfweide und brummte: »Manche Weiden sind bösartig. Man erzählt sich, dass sie Kinder, die sich an ihren Stamm lehnen und dösen, in ihrer Rinde einschließen.«
»Hübsches Märchen«, erwiderte Hans und ließ den Blick über den Unkengrund gleiten. Westlich der Fusel erstreckten sich sumpfige Niederungen und von Wasserflächen durchsetzte Schilfwälder, in denen tote Pappeln und Erlen standen. In manchen saßen noch Reiherhorste, aber die Vögel, die hier immer in großer Zahl genistet hatten, waren verschwunden. Auf dem Marsch zur Fusel hatte das Heer nicht einmal eine Bisamratte aufgescheucht. Der Unkengrund war von allen Tieren verlassen worden – bis auf die unsichtbare Armee der Maulwürfe.
»Dort wird die Streitmacht aufmarschieren«, sagte Helmdag und zeigte auf den Hügel, der sich im Westen erhob wie die kahle Schädelplatte eines im Sumpf versunkenen Riesen.
»Und wir stehen hier«, zürnte der Anführer der Männer aus dem Lohwald.
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