Der Eiserne König
was mir blüht, hätte ich mich ganz bestimmt nicht zu dieser Suche verdonnern lassen«, stöhnte Kunz, dessen Brustwunde notdürftig verbunden war. »Nicht als Buße für Rauferei, Hurerei, Sauferei und anderes Allerlei und auch nicht aus Sorge um unser geliebtes Pinafor.«
Sneewitt starrte geradeaus. Ihre Schulter schmerzte bei jedem Huftritt.
Der Treidelpfad, auf dem sie ritten, folgte den Windungen der Fusel im Sumpfland. Neben alten Torflöchern standen Katen, in denen Kröten und Kreuzottern hausten. Ringsumher dehnten sich Schilfwälder, manchmal waren Krüppelweiden oder Moorbirken zu sehen. Wolkenfetzen zogen am Himmel dahin.
Der unverletzte Horn saß vor Sanne auf dem Pferd. Sie lehnte müde an seinem Rücken.
»Ein feiner Hut«, sagte Hardt. »Einmal wedeln, und hundert Bogenschützen erscheinen. Woher hast du das Wunderding?«
»Von einer alten Schwarzamsel«, erwiderte Horn mit breitem Lächeln.
»Von wem?«, fragte Hardt.
»Von einem Köhler im Greting. Diese Burschen hüten viele Geheimnisse.«
»Ohne dich wären wir tot«, sagte Hans über die Schulter.
Horn schmunzelte. »Ja«, sagte er. »Aber auch ohne die zwei Tiere. Der Fuchs hat meinen Hut wiedergefunden.«
»Ach, ja?« Hans blickte in die schilfige Weite. »Ob wir die beiden je wiedersehen?«
Sie begegneten weder Menschen, noch stießen sie auf Dörfer. Die sieben Raben ließen sich nicht blicken. Das Mädchen mit den grünen Augen kam den erschöpften Gefährten vor wie ein Spuk.
Am dritten Tag nach dem Gefecht ließen sie die Schilfwälder hinter sich. Der Pflanzenwuchs wurde spärlicher, der Boden sandiger. Erste Wacholder tauchten auf. Auerhähne kollerten in der Ferne. Sie befanden sich auf der Hohen Heide, die sich von der Usse bis zum Dunkelpfuhl erstreckte.
Nachmittags klarte es auf. Die Sonne durchbrach die Wolken. Eine knappe Meile westlich der Fusel lag ein Dorf auf einer flachen Erhebung.
»Endlich«, sagte Sanne. »Übernachten wir dort?«
»Nur, wenn es eine Kneipe gibt«, sagte Kunz. »Ich brauche ein Bier. Das ist die beste Medizin.«
Die Gefährten bogen vom Treidelpfad auf einen verkrauteten Weg ab. Die Kühe auf den Weiden unterhalb des Dorfes waren von Kot und Dreck verkrustet. Sie fanden kaum noch Futter und begannen zu brüllen, als sich die Reiter näherten. Drei zerlumpte Jungen rannten beim Anblick der sechs Gefährten davon.
Das Dorf bestand aus riedgedeckten Gebäuden. Da Holz auf der Hohen Heide Mangelware war, gab es kaum Fachwerk. Außer Kindern und einigen Greisen, die vor ihren Katen saßen, war kein Mensch zu sehen. Auf der Dorfstraße irrten nur Hühner und Ziegen umher. Höfe und Werkstätten standen verlassen da.
Die Gefährten saßen beim Ziehbrunnen auf dem Dorfplatz ab. Kunz stöhnte, denn er hatte überall Prellungen. »Was für ein Kaff«, sagte er.
»Auf der Hohen Heide ist der Boden für Feldfrüchte zu karg und sandig«, sagte Hans. »Wer hier lebt, muss darben.«
Sie führten ihre Kaltblüter zur Dorfschenke. Stimmen und Musik ertönten. Drinnen wölkte der Tabakqualm wie Nebel, die Luft war zum Schneiden. Tische und Theke waren dicht besetzt. Wie um Hans Lügen zu strafen, klimperte überall das Gold. Der rätselhafte Reichtum, der Pinafor überflutet hatte, war auch hier angelangt.
Beim Eintreten der Gefährten fuhren alle Köpfe herum. Eine Rotte junger Burschen mit kopfhautkurzem Haar und Ring im Ohr warf ihnen böse Blicke zu. Die Hohe Heide war so arm, dass vielen nur das Verbrechen blieb. Grimms Räuber hatten sich meist aus den jüngsten Söhnen von Moorbauern und Heidekätnern rekrutiert, die keine Zukunftsaussichten gehabt hatten.
Die Gefährten humpelten zur Theke. Der Wirt musterte sie misstrauisch. »Woher kommt ihr, Fremde?«, fragte er.
»Aus Flutwidde«, erwiderte Hans. »Wir sind im Auwald an der Usse überfallen worden. Gibt es hier eine Heilkundige?«
»Nicht mehr«, sagte der Wirt, dicker als Horn und mit langen, fettigen Haaren. »Sie hat sich mit Wacholderbeerschnaps zu Tode gesoffen.«
»Selbstgebraut!«, warf ein Bauer ein und lachte meckernd. Wie fast alle anderen Gäste war er angetrunken.
»Habt Ihr ein Bier für mich?«, fragte Kunz.
»Flüssiges Gold muss mit fester Münze bezahlt werden.« Der Wirt betrachtete ihn abschätzig.
Kunz sah Sanne an. Sie zog sich seufzend ein paar Haare aus, die sofort zu Gold wurden. Kunz zählte sie. Dann fragte er: »Reichen fünf Haare für ein Bier?«
Der Bauer machte große Augen. Der Wirt starrte erst
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