Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Eiserne König

Der Eiserne König

Titel: Der Eiserne König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Henry Eagle
Vom Netzwerk:
brummte der Wirt und schenkte noch einmal nach.
    Der Hirte kehrte ihnen den Stachelrücken zu und torkelte zu seinem Platz. »Schön wie ein Lämmchen!«, rief er. »Schön wie ein Kälbchen! Schön wie ein Ferkelchen! Schön …«
    »… wie ein Igelchen!«, brüllten seine Tischnachbarn und krümmten sich vor Lachen.
    »Komischer Kauz«, brummte Kunz.
    »Seine Mutter hat ihn verflucht«, erwiderte der Wirt. »Aber er spielt meisterhaft Dudelsack und reitet seinen Gockelhahn wie einen edlen Hengst. Er hat ein Händchen für Tiere.« Als er sah, dass die Gläser von Sneewitt und Kunz schon wieder leer waren, schenkte er zum dritten Mal nach. »Ihr könnt gern mit goldenen Haaren bezahlen«, flüsterte er und zwinkerte den zwei Gefährten zu.
    Die beiden tranken schweigend, während ringsumher der Lärm der Zecher toste. Der schwarzbärtige Müller im weißen Kittel erhob sich von seinem Platz und wankte zur Theke. Sein Grinsen wurde mit jedem Schritt breiter. Er schlug Kunz so wuchtig auf die Schulter, dass dieser den Schnaps ausprustete.
    Sneewitt fuhr herum. Sie griff nach ihrem Dolch.
    »Alter Halunke!«, rief der Müller. »Wie lange ist es her? Bald zwanzig Jahre, oder? Darauf müssen wir anstoßen! Ich hatte so eine Ahnung, aber jetzt bin ich mir sicher. Wie schön, dich wiederzusehen, Rumpenstünz!«
    Kunz erstarrte, als sein wahrer Name genannt wurde. Das Blut wich aus seinem Gesicht – und aus dem von Sneewitt. Er drehte sich langsam zum Müller um. Er rang um Fassung und nach Atem. »Das hat dir …«, keuchte er und schluckte. »Das … hat … dir …« Im nächsten Moment brach es aus ihm heraus, und er brüllte: »Das hat dir der Teufel gesagt!«
    Alle drehten sich nach ihnen um. Der Müller war bestürzt. »Aber Rumpenstünz«, erwiderte er, »weißt du nicht mehr? Wir sind zusammen zur Dorfschule gegangen …«
    »Das hat dir der Teufel gesagt!«, brüllte Kunz wieder. »Aaah-raaaaargh!«
    »Kunz!«, rief Sneewitt und wollte ihn festhalten.
    Aber Kunz war schneller. Er griff in seine braunen Locken und riss sich mit einem Ruck entzwei.
    Das war kein schöner Anblick. Blut spritzte quer durch die Schankstube, Eingeweide klatschten auf den Boden, und der Darm ringelte sich wie eine Riesenschlange über die Theke. Der Wirt wich schreiend zurück; die trunkenen Gäste flohen Hals über Kopf aus der Schenke. Stühle krachten um, Gläser und Humpen gingen in Scherben. Der Kittel des Müllers war nicht mehr weiß, sondern blutrot, der Mann selbst stand kurz vor der Ohnmacht. Kunz sah aus wie ein zerhacktes Schwein; jede Körperhälfte schwankte auf einem Bein. Dann fielen die Hälften um, jede zu einer Seite, und knallten dumpf auf die Holzdielen.
    Der Tumult war so groß, dass die Gefährten im Stall aus dem Schlaf fuhren. Als sie sahen, dass Sneewitt und Kunz nicht da waren, griffen sie nach den Waffen und eilten zur Schenke.
    Dort lagen der entzweigerissene Kunz und der ohnmächtige Müller im Blut auf dem Boden. Sneewitt lehnte an der Theke, die Hände vor das Gesicht geschlagen. Der betrunkene Hirte versuchte, einen Trauermarsch auf dem Dudelsack zu spielen, aber die Töne stockten. Alle anderen Gäste waren weg; auch der Wirt hatte das Weite gesucht. Nur ein neugieriger, kleiner Dorfjunge lugte hinter den Gefährten in die Schenke.
    Beim Anblick von Kunz brach Sanne in Tränen aus; Perlen prasselten auf die Dielen und kullerten unter die Tische. Hans und die anderen standen entsetzt da.
    »Der Müller hat Kunz bei seinem wahren Namen genannt«, sagte Sneewitt. »Und dann …« Sie stolperte schluchzend zu Horn und sank in seine Arme. »Einmal hat ihn ein Schneider mit einer Wundernadel zusammengenäht. Aber nun …«
    Der stockbetrunkene Hirte glitt zu Boden und schlief ein.
    Da erhob sich die neben dem Kamin sitzende Person, die sich während des Tumults nicht vom Fleck gerührt hatte. Sie war zierlich und trug einen weiten, dunkelgrünen Mantel, dessen Kapuze ihr Gesicht verhüllte. Sie huschte zu Kunz, ohne dass die Gefährten, die Sneewitt trösteten, dies bemerkt hätten. Sie beugte sich über ihn, legte ihre Hände auf die Körperhälften und senkte den Kopf.
    »Was machst du da?«, fragte der Dorfjunge, der sich in die Schenke gepirscht hatte und die von Sanne geweinten Perlen einsammelte.
    Die Person im grünen Mantel schwieg. Zwei Vögel kamen angeflogen, ein Zeisig und ein Sperling, und ließen sich auf ihren Schultern nieder. Sobald sie zwitscherten, rutschten die Körperhälften

Weitere Kostenlose Bücher