Der Eiserne König
erbost.
Der Fuchs lächelte selbstgefällig.
Sie stritten weiter, bis der Mond aufging.
12. Eisenhans und die Jungfer
Unter den Hufen flog letzter Sand auf, dann ritt Grimm über grasige Hügel. Die Hohe Heide lag hinter ihm. Im Westen, jenseits des Welsflusses, ragten die dicht bewaldeten und zerklüfteten Gebirgszüge des Gretings auf. Während Hans und die Gefährten auf der Lichtung im Föhrenforst lagerten, preschte der Rappe mit trommelnden Hufen durch die Nacht und erreichte vor dem Morgengrauen den Heerweg.
Der Verkehr war in diesen goldsatten Zeiten zum Erliegen gekommen. Disteln, Wegerich und Kamille wucherten in den Karrenspuren. Ein Übeltäter, den man an einer Ulme gehängt hatte, schwankte im Wind hin und her.
»Na, Gevatter?«, fragte Grimm und zügelte sein Ross. »Wer erweckt
dich
zum Leben?« Er lachte schallend.
Der Tote drehte den Kopf in der Schlinge und sah Grimm aus toten Augen an. »Du wirst … erwartet«, krächzte er und zeigte mit verwesender Hand zum Welsfluss, der eine halbe Meile vom Heerweg entfernt im Mondschein glitzerte.
Grimm stutzte, denn der Tote hatte mit der Stimme einer Frau gesprochen. »Besten Dank, Gevatter«, sagte er dann, gab dem Rappen die Sporen und ritt durch den lichten Auwald zu den Sandbänken, die das Ufer des Welsflusses säumten. Dort lag ein Fährkahn im Morgennebel.
Zwei Kultknechte öffneten eine Klappe, über die Grimm seinen Rappen an Bord führte. Dann griffen sie nach den Rudern und stießen den Kahn vom Ufer ab. Das Wasser klatschte dumpf gegen die Planken, als sie auf den Welsfluss hinausfuhren.
Grimm stand neben dem Rappen und sah durch den Nebel zum anderen Ufer: Hinter schroffen Felsen begann der Wald, für den der Greting berüchtigt war – ein Eichenwald mit dem uralten Namen Isarnho.
Die Dame in Weiß erwartete ihn auf einer Klippe. Sein Herz schlug schneller. Nachdem der Kahn angelegt hatte, führte er sein Pferd auf die Felsen. Oben angekommen, verneigte er sich schweigend.
»Sei gegrüßt, Krieger des Eisernen Königs«, sagte die Dame. Sie schritt über den Felsen auf ihn zu, ergriff seine Hand und sagte: »Unsere Gegner sind aufgehalten worden. Sie werden den Greting frühestens übermorgen erreichen. Du wirst neue Männer und einen neuen Auftrag bekommen. Aber …« – sie strich über Grimms Harnisch – »… das hat noch Zeit. Komm mit.«
Die Dame in Weiß führte Grimm in den Wald. Zwischen den Eichen, deren Laub sich rostrot zu verfärben begann, wuchs von Farn durchsetztes Unterholz. Schließlich erreichten sie eine mit Holzschindeln gedeckte Hütte, die vor einer steilen Felswand stand.
»Passt gut auf«, befahl die Dame den Kultknechten. Dann winkte sie Grimm hinein.
»Und die Esche?«, fragte Grimm, als sie die Hütte betraten.
»Eisenhans, der früher im Dunkelpfuhl gehaust hat, weiß als Einziger in ganz Pinafor, wo sie wurzelt. Er bewachte sie zusammen mit der Jungfer. Niemand kommt an den beiden vorbei«, erwiderte sie.
Holzkohlebecken wärmten die mit weißem Samt drapierte Hütte. Wein und Essen standen auf einem Tisch. Ein Lager aus Laub und Moos und vielen Fellen lud zum Verweilen ein.
»Diese Hütte war einst das Versteck eines blutschänderischen Geschwisterpaares. Das Mädchen wurde zur Strafe in ein Reh verwandelt, der Knabe wurde der Jungfer übergeben – eben jener, die die Esche bewacht.« Die Dame lächelte unter ihrem Schleier und flüsterte: »Man nennt sie auch ›Blutsäuferin‹.« Sie schlüpfte unter die Felle. »Komm zu mir, mein Galan«, befahl sie.
Grimm zögerte kurz, dann gehorchte er.
Die Kultknechte hielten vor der Tür Wache. Tautropfen perlten von ihren Pelzkappen, im Unterholz dampfte der morgendliche Dunst.
»Sind wir Hunde, dass wir draußen warten müssen?«, klagte einer.
»Unsere Herrin will ungestört bleiben«, erwiderte der andere.
Der erste Kultknecht spuckte aus und knurrte: »Sie hat einmal Keuschheit gelobt.«
»Sie wird bald zur Rechten des Eisernen Königs sitzen. Dann ist ihr alles erlaubt«, sagte der zweite.
»Ja. Bald. Aber noch ist es nicht so weit.«
»Wenn du weiter so redest, lebst du nicht mehr lange.«
Die Kultknechte verstummten. Ringsumher fiel Laub von den Eichen, aber es war nicht rot, sondern aschgrau.
Die Esche, von der nach allgemeinem Glauben Wohl und Wehe der Welt abhingen, erhob sich tief im Greting in einer Grotte. Ein Dutzend Männer hätten ihren Stamm nicht mit ausgestreckten Armen umfassen können, und ihre Wurzeln
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