Der Eiserne König
verwoben sich zu einem dichten Labyrinth.
Eisenhans saß in einer Nische in der Grottenwand. Er pickte Läuse aus seinen knielangen Zottelhaaren und zerdrückte sie zwischen den Fingernägeln.
»Nummer dreiundzwanzig«, murmelte er und schnippte eine Laus auf den Boden. »Nummer …« – es knackte abscheulich – »… vierundzwanzig. Nummer … Nummer …« Er musterte die Nummer fünfundzwanzig. »Du bist gut genährt«, sagte er, »also wirst du mich nähren.« Er steckte sich die Laus in den Mund; beim Kauen flüsterte er: »Blut zu Wut, Wut zu Glut, Glut zu Blut.«
»Man spricht nicht mit vollem Mund!«, keifte die Jungfer, die gerade die Grotte betrat. Sie war groß und hager, schorfrote Haare standen wirr von ihrem Kopf ab, und auf ihrer Brust lag eine Kette aus menschlichen Fingerknochen. Sie schleifte einen bewusstlosen Mann hinter sich her.
»Noch ein Köhler?«, fragte Eisenhans. »Das wird langsam langweilig.«
»Ein schöner Prinz wäre mir lieber«, erwiderte die Jungfer. »Aber im Greting gibt es nur gemeines Volk.«
»Wie ich höre, bekommen wir bald Besuch«, sagte Eisenhans. »Vier kräftige Kerle für dich, drei schöne Weiber für mich, und eine alte Muhme als Fraß für die Karontiden.«
»Ich kann es kaum erwarten«, murmelte die Jungfer, der das Wasser im Mund zusammenlief.
Während Eisenhans weiter Läuse fing, zerrte die Jungfer den Köhler zum Labyrinth der Eschenwurzeln. Eisenhans zählte immer lauter, um ihr gieriges Geschnaufe zu übertönen: »Dreißig! Einunddreißig!! Zweiunddreißig!!! Drei …«
»Uuuh-haach!«, kreischte die Jungfer.
Eisenhans hob den Kopf. »Musst du die armen Kerle immer kaltmachen?«, fragte er.
»Nimm dich in acht«, erwiderte die Jungfer. »Angeblich bist du ein verwunschener König. Das wäre eine Abwechslung auf meinem Speiseplan.«
»Irrtum«, sagte Eisenhans und klopfte sein Zottelfell ab. »Ich habe damals einen Landstreicher mit Gold und Geschmeide bestochen, damit er an meiner Stelle den König spielte. Danach hat er in Saus und Braus gelebt, und ich hatte meine Ruhe. Die Menschen glauben jedes Märchen, Hauptsache, es ist traurig, rührend oder skandalös. Du ahnst nicht, wie dumm sie sind.«
Die Jungfer knurrte. Sie legte die Fußknöchel des Köhlers in Ketten und zog ihn an einer Wurzel hoch, die sich im Bogen über den Boden erhob. Eisenhans schauderte, denn er wusste, was nun folgte. Obwohl ihm jedes Mal übel wurde, konnte er den Blick nicht abwenden. Die Jungfer biss dem Mann die Kehle durch, trank einen Teil seines Blutes und ließ den Rest über ihre Haare sprudeln. Den Spitznamen ›Blutsäuferin‹ hatte sie redlich verdient.
»Kannst du deine Haare nicht wie jede brave Frau mit Henna färben?«, fragte Eisenhans, der ein Würgen unterdrückte.
»Haah-haaach!«, stöhnte die Jungfer und bleckte die Zähne. Dann rubbelte sie ihre Haare, bis diese strubbelig nach allen Seiten abstanden. »Mit Blut hält sich meine Frisur besser«, sagte sie. Sie löste die Kette und ließ den Leichnam auf die Felsen fallen. Gemeinsam mit Eisenhans schleppte sie ihn durch das Zwielicht des Wurzellabyrinths. Ab und zu fielen Blätter, denn die Esche zeigte erste Anzeichen des Verdorrens.
Im Kerker der Karontiden erschallte Gebrüll; Fäuste bollerten gegen die Eichenbohlen der Tür.
»Ah-haach, meine Süßen!«, rief die Jungfer. »Lecker Essen!« Sie öffnete eine Klappe und warf einen Blick in den Kerker. Die Karontiden waren Zwitter. Brustwarzen und Gemächte liefen in aufwärts geschwungenen Dornen aus, ihrem Steiß entsprang ein langer Schwanz, ihr Körper war unbehaart und schlangenschuppig.
»Sind sie nicht allerliebst?«, hauchte die Jungfer. »Sieh nur ihre Wespentaille. Die mächtige Brust. Die langen Arme und Beine. Muskeln, wohin man sieht. Ja-ha-ha-ha! Die Diät, die ich ihnen verschrieben habe, bekommt ihnen gut.«
»Diät?«, fragte Eisenhans. »Meinst du diese verwarzten, mit Kartoffelschnaps vollgesogenen Köhler?« Er entriegelte die Tür. Dann wuchteten sie den Leichnam in den Kerker, und die Jungfer sah entzückt zu, wie die Karontiden über ihn herfielen.
»Sie gehorchen mir auf das Wort«, flüsterte sie. »Ist das nicht herrlich? So hübsche Haustiere hatte ich noch nie.«
»Du hast deine Hunde ja auch immer aufgefressen«, brummte Eisenhans, der zum nächsten Kerker trottete. Dort öffnete er die Klappe und sah hinein.
»Diese Köter waren sabbernde, haarige, kläffende, stinkende Monster«, knurrte die
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