Der Eiserne König
rundum schweifen. Neben ihr stöhnte Horn im Fieberschlaf.
»Kommt. Wir erkunden Föhrenkreis und Menhir«, sagte Hans und zog sein Pferd am Zügel mit. Hardt, Kunz und Sneewitt folgten ihm.
»Ich bleibe hier«, sagte Sanne ängstlich.
»Ich auch«, sagte der Fuchs. »Findest du nicht auch, dass sie wunderschön ist?« Er sah bewundernd zur tief versunkenen Maleen auf.
»Zu viele Sommersprossen und zu wenig Fell für meinen Geschmack«, brummte der Dachs.
Die vier Gefährten gingen langsam über die Lichtung. Sie hatten die Föhren fast erreicht, als sich in der Dornenhecke ringsumher zwölf Öffnungen auftaten. Aus jeder trat ein Hutzelweib, in Lumpen gehüllt und mit einem langen Stab in der Hand. Auf jedem Stab ließ sich eine Nebelkrähe nieder. Eine flog zum Menhir, hinter dem ein weiteres Hutzelweib hervorkam. Sie hatte Talismane in ihre langen, grauen Haare geflochten. In einer Hand hielt sie den Stab, in der anderen eine Schnur mit toten Kröten und Salamandern. Sie blieb vor dem Menhir stehen, und nachdem die Nebelkrähe auf ihrem Stab gelandet war, öffnete sie den zahnlosen Mund.
Hans blieb wie erstarrt stehen. Kalte Angst durchfuhr ihn. Er sah zu Sneewitt, die das Hutzelweib aus weit aufgerissenen Augen anstarrte. Kunz ließ den Zweihänder verblüfft ins Gras sinken, Hardt keuchte auf.
Der Fuchs betrachtete die dreizehn Hutzelweiber aus dem sicheren Schoß der Muhme. »Das
sind
Hexen!«, flüsterte er furchtsam.
»Hexen gibt es nur im Lohwald«, bekräftigte der Dachs, aber er klang irritiert und duckte sich in Maleens Schoß.
»Wenn diese Vogelscheuchen keine Hexen sind«, wandte der Fuchs ein, »
was
sind dann Hexen?«
Der Dachs duckte sich noch tiefer, weil die Frauen plötzlich einen kehligen, immer lauter werdenden Gesang anstimmten. »Ruhig, still und friedlich, wie?«, knurrte er und drückte sich die Pfoten auf die Gehöre.
Der Fuchs starrte mit hängender Zunge ins Leere.
Hans stand da wie angewurzelt und starrte das Hutzelweib an. Der Menhir glühte rot in der Abendsonne, die Föhren sahen aus wie mit Blut getüncht. Der ringsumher ertönende Kehlkopfgesang drang ungefiltert in sein Gehirn. Er rang um Atem. Die Welt rotierte rasend schnell, vor seinen Augen leuchtete das ganze Spektrum des Regenbogens auf – und dann war er plötzlich wieder bei der Hexe im Lohwald. Die Angst loderte wie ein Feuer in ihm.
Es geschieht, geschieht euch kein Leid, kein Leid
. Der kleine Stall mit der Gittertür.
Das wird ein guter, ein guter, guter Bissen
. Das beste Essen, gesotten und gebraten, er verschlang alles und erbrach sich dann.
Hänsel, Hänsel, streck deine Finger, Finger heraus, damit ich fühle, fühle, ob du bald fett bist, fett bist
. Das Knöchlein, ja, das Knöchlein. Er war wieder ein kleiner Junge, allein mit der Schwester im tiefen Wald, er heulte und schrie, schlug um sich, rüttelte an der Gittertür, starb vor Angst tausend Tode.
Der Kehlkopfgesang der Hexen erscholl weiter, aber er hörte ihn nicht mehr.
Sneewitt erging es nicht besser. Sie glitt durch einen Spiegel, der ihre strahlend schöne Stiefmutter zeigte, in das Häuschen hinter den sieben Bergen.
Lunge und Leber, in Salz gekocht, Leber und Lunge, gekocht
. Die Krämerfrau klopfte.
Kind, wie du aussiehst, aussiehst, Kind!
Ein Riemen, der die Brust so fest zuschnürte, dass Sneewitt der Atem verging, sie fiel hin wie tot.
Gute Ware, Ware feil, du Ausbund, Ausbund von Schönheit, Schönheit!
Gift drang in sie ein, ihr Herz stockte, sie fiel hin wie tot.
Fürchtest du, fürchtest du dich vor Gift, vor Gift?
Roter Backen, weißer Backen, die Versuchung war zu groß, sie fiel tot hin.
Nicht in die schwarze, die schwarze Erde, die Erde.
Sie lag im Sarg, sie war nicht tot. Wut und tiefe Verzweiflung erfüllten sie; dann kam ihr liederlicher Prinz, und sie spie den Apfelgrütz aus und mit ihm alle Eingeweide, sie drohte, im eigenen Blut zu ertrinken, sie schrie und schrie, als wollte sie den Glassarg durch ihre Stimme zerspringen lassen.
Hardt lag auf den Knien, hielt sich beide Ohren zu und brüllte gegen den Gesang an. Kunz heulte und tobte, er trommelte mit den Fäusten auf die Erde und riss Gras aus. Er lag wieder in den Armen der Königin, die er so geliebt hatte, er schlief mit ihr im Mondschein neben dem Weiher im Park. Dann lag sie bleich im Wochenbett, sie hatte ihm eine Tochter geboren. Sie übergab seine Tochter einem Jäger, der sie tief im Wald aussetzte, wo sie von den wilden Tieren zerrissen wurde, und
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