Der Eiserne König
Kunz sah all die anderen Prinzessinnen und Königinnen vor sich, deren Kinder er in seiner Not hatte haben wollen, die Spinnräder surrten, sie sponnen seine Seele zu einem langen, goldenen Faden, der sich um ihn wand, ihn einschnürte, ihm so tief in die Haut schnitt, bis Blut spritzte, aber seine Tochter war für immer verloren, war von der Königin mit dem kalten Herzen ausgesetzt worden, und Kunz weinte bitterlich um sein einziges Kind.
Reineke und Meister Grimbart mussten mitansehen, wie sich die Gefährten heulend auf der Erde wälzten. Sanne war nach den ersten Tönen des Gesangs ohnmächtig geworden.
»Wie können wir diesem Albtraum ein Ende bereiten?«, rief der Fuchs in den Lärm. »Sie sterben ja bald vor Verzweiflung und Raserei.«
»Woher soll ich das wissen?«, rief der Dachs zurück.
»
Du
bist doch der Kämpe und Kriegsheld«, schrie der Fuchs. »Gewieft und mit allen Wassern gewaschen.«
»
Du
hast mich zwangsverpflichtet, um die Welt zu retten!
Ich
hätte lieber meinen herbstlichen Frühjahrsputz fortgesetzt!«
»Ich habe im Auftrag aller Tiere gehandelt.«
»Ach, ja? Na, und? Ist mir piepschnurzegal. Eine Idee habe ich trotzdem nicht.«
»Du Superheld«, schrie der Fuchs.
»Ich poliere dir gleich die Schnauze«, schrie der Dachs.
»Dann komm doch her.«
»Oh, ich komme. Ich komme!«
Aber beide rührten sich nicht vom Fleck.
Derweil tobten Hans, Sneewitt und Kunz weiter. Hard hatte sich zusammengekauert und brüllte. Die Pferde preschten mit Schaum vor dem Maul kreuz und quer über die Lichtung; Horn lag unter der umgestürzten Trage im Gras. Die Hexen sangen ohne Unterlass. Die Sonne versank im Westen hinter den Wipfeln und warf die Schatten der zwölf Föhren weit über die Lichtung.
Meister Grimbart sah zu Maleen auf. Sein Blick glitt über den sommersprossigen Hals bis zum Huckel des Kinns, und von dort über die geschürzten, leicht geöffneten Lippen zur Nase. Vor ihren Augen ringelten sich Haarsträhnen, aber der Dachs konnte das Grün der Iris sehen. Und während die Gefährten jaulten und heulten, tobten und schrien, sich im Gras wälzten und die Haare ausrissen, hob Maleen langsam die Arme und legte die Handflächen über dem Kopf aneinander.
Die panischen Pferde blieben stehen und stellten die Ohren auf.
»Greif endlich in deine Trickkiste!«, schrie der Fuchs.
Aber Meister Grimbart schwieg. Seine Schwarte sträubte sich. Er spürte, wie eine knisternde Kraft aus dem Sand der Hohen Heide aufstieg und sich unter Maleen sammelte. Seine Nase kribbelte, und dann strömte die Kraft in das Mädchen, als wäre eine Schleuse geöffnet worden.
Der im Schoß der Muhme kauernde Fuchs sah erstaunt, wie ein Strahl aus Maleens Fingerspitzen in den Abendhimmel schoss. »Da! Guck mal … da«, stammelte er. »Das grasgrüne Feuer. Der Strahl hat die Farbe ihrer Augen.«
Meister Grimbart schloss geblendet die Augen.
Der Kehlkopfgesang der Hexen kam kurz ins Wanken, aber sie fingen sich wieder. Die auf den Stäben hockenden Krähen plusterten ihr Gefieder auf und krächzten heiser.
Da tauchten ringsumher Vögel auf. Sie flogen über den Föhrenforst zur Lichtung, wo sie den Gesang der Hexen mit ihrem Gezwitscher übertönten. Dadurch schwächte sich die Wirkung ab. Die Gefährten beruhigten sich ein wenig. Hardt kam zuerst zur Besinnung. Er schaute sich ungläubig um, dann torkelte er zu Maleen und der Muhme. Dann erwachte Sneewitt aus der Raserei der Verzweiflung. Sie griff nach ihrem Bogen, verschränkte die Arme über dem Kopf, als wolle sie sich vor den Vögeln schützen, die dicht an dicht über der Lichtung wogten, und folgte Hardt. Kunz kam als Nächster zu sich, und endlich schüttelte auch Hans den Bann des Gesangs ab. Er wollte rennen, stolperte aber und schleppte sich auf allen vieren zu seinen Gefährten.
Die zwölf Hexen sangen vergeblich gegen das Gezwitscher an. Die Krähen duckten sich furchtsam unter ihre Flügel. Der Gesang der Hexen kam ins Stocken. Die ersten verstummten und versuchten, sich mit Bannsprüchen oder Beschwörungen zu helfen, aber sie zeigten keinerlei Wirkung. Die vor dem Menhir stehende Hexe schlug wütend nach den überall schwirrenden Vögeln.
Hans, Hardt, Kunz und Sneewitt scharten sich um Maleen, aus deren Händen der Strahl in die Höhe schoss; er war die Achse, um die die Vögel wogten. Obwohl die vier zu Tode erschöpft waren, zogen sie ihre Waffen. Sneewitt schoss auf die Herrin der Hexen, aber der Pfeil verfehlte sein Ziel. Als das
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