Der Eiserne König
sich nach den näherkommenden Knechten um. Dann flammten links und rechts Fackeln auf, deren Schein Geschöpfe aus dem Dunkel schälte, wie die Gefährten sie noch nie erblickt hatten: Gelbe Augen loderten; Fangzähne blitzten, Krallen wurden ausgefahren.
»Karontiden …«, hauchte Sanne schreckensbleich. »Es gibt sie wirklich.«
Die massigen Geschöpfe, die ihnen in einer Dreierreihe den Weg versperrten, rissen den Schädel hoch und röhrten so laut, dass die hornigen Brustfortsätze und Gemächte bebten.
»Das war kein Sonnenlicht«, flüsterte Horn. »Das waren die Augen dieser Ungeheuer.«
Hardt machte in seiner Panik auf dem Hacken kehrt, um in die Höhle der Hallenden Tropfen zu fliehen, sah sich aber einem Dutzend Kultknechte gegenüber, die ihre Klingen auf ihn richteten.
Dann trat die Jungfer aus den Schatten und stellte sich vor die Karontiden. Sie grinste so breit, dass all ihre spitzen Zähne zu sehen waren, breitete die Arme aus und rief: »Haah-haach! Willkommen! Wir haben euch schon erwartet!«
Hans ließ den Blick über seine fünf Gefährten gleiten. »Tja, Freunde«, sagte er tonlos. »Das war es dann wohl mit der Rettung der Esche.« Er ließ das Schwert fallen.
Das Klirren, mit dem es auf den Felsboden fiel, hallte lange im Tunnel nach.
17. Im Kerker
Maleen betastete ihren Rücken, den die Muhme mit Heilsalbe eingerieben hatte. »Da hat man mir die Karte eingebrannt«, seufzte sie, »und nun hilft sie uns nicht, die Esche zu finden.«
»Hans und die Gefährten schaffen es auch so«, sagte die Muhme und drehte den Spieß, an dem ein Hirsch über dem Feuer briet. »Wer weiß? Vielleicht sind sie schon am Ziel.«
»Ja … vielleicht«, murmelte Maleen. Sie steckte einen Finger in die Schale mit Salz und leckte ihn ab. Dann versank sie in tiefem Nachdenken.
Der Bratenduft machte allen den Mund wässerig. Bei Anbruch der Dunkelheit war das Fleisch fertig. Die Köhler schnitten dicke Batzen heraus, die sie mit den Fingern aßen. Die Muhme teilte ein Stück mit Maleen, die kaum etwas anrührte.
»Du isst wie ein Spatz«, sagte sie. »Was hast du? Tut dein Rücken weh?«
Maleen, die zwischen schmatzenden Männern saß, schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete sie. »Ich mache mir Sorgen um unsere Gefährten. Und ich muss immer wieder an die Esche denken.«
Die Köhler ließen Kartoffelschnaps kreisen; auch die Muhme trank einen Schluck.
»Endlich keine Kohlsuppe mehr!«, rief ein Mann. »Danke für den Hirsch, Harlung.«
Harlung nickte mit vollem Mund.
»Köstlich«, murmelte die Muhme und leckte ihre faltigen Lippen. Dann sagte sie zu Maleen: »Nur keine Sorge. Hans, Kunz, Sanne und Sneewitt sind gewitzt und außerdem gute Kämpfer, und der Dachs ist ein ausgebuffter Haudegen.«
»Und was ist mit dem Fuchs, Hardt und Horn?«
»Ach, die sind auch nicht aus Zucker«, sagte die Muhme und trank noch einen Schluck. »Warte ab – sie kehren spätestens übermorgen zurück. Dann ist die Welt wieder in Ordnung.«
Da ständig Köhler hinzukamen, die an ihren Meilern zu tun gehabt hatten, zog sich das Essen in die Länge. Maleen stellte den Teller nach vier oder fünf Bissen weg.
»Ich fühle mich immer so allein«, sagte sie. »Aber vielleicht ist das meine Bestimmung.«
»Was?«, fragte die Muhme.
»Allein zu sein.«
»Unsinn. Du findest deinen Prinzen schon noch«, sagte die Muhme.
»Du redest wie Reineke Fuchs«, erwiderte Maleen. »Aber so wird es nie sein. Irgendeine Aufgabe wartet auf mich.«
»Na, Fräulein? Auch ein Schlückchen?«, fragte der neben ihr sitzende Köhler.
Maleen schüttelte den Kopf und reichte die Flasche an die Muhme weiter, die einen dritten Schluck trank und sich den Mund mit dem Handrücken abwischte.
»Du wirst deinen Prinzen noch finden«, wiederholte sie, nun schon beschwipst. »Ganz bestimmt. Aber er muss gut gebaut sein. Er muss ein strahlendes Lächeln haben. Er muss höflich und zuvorkommend sein. Und …«
»Ist es falsch, allein zu bleiben?«, fragte Maleen. »Muss man denn seinen Prinzen finden?«
»Hm«, brummte die Muhme. »Ich meine ›Prinz‹ natürlich im übertragenen Sinn. Aber du könntest Kinder bekommen.«
»Du klingst schon wieder wie der Fuchs«, erwiderte Maleen. »Aber warum reden alle von Kindern? Hast
du
Kinder?«
Die Muhme starrte Maleen lange an. Dann wandte sie sich ab und rief: »Harlung? Gib mir mal die Flasche.«
»Du bist auch allein«, sagte Maleen. »Warum redest du dann so? Vielleicht will ich ja gar keine
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