Der Eiserne Rat
Manifestationen unternehmen Vorstöße in Richtung der Räder, um sich weiter zu laben. Wenn Leute aus dem Zug steigen, wimmeln sie ihnen um die Füße, schlecken das Echo ihrer Schritte. Eine Frau tanzt, und die Luft gerät in Schwingung durch die Verzückung von Bewegungsdämonen, halb sichtbar, halb unsichtbar, die sich an ihrem flinken Getrippel berauschen. Bald ist der Ewige Zug an allen Seiten umgeben von schwofenden Gestalten: Remade, die freien Frauen, die Huren waren, Kaktusleute, die ihre Bärbeißigkeit vergessen. Sie tanzen neben dem Zug, finden sich zu Gruppen für Hopsasa, Bauernpolka und Tennenfeger. Ihre Füße sind umwuselt von Dämonen, die das Licht einfangen. Es ist ein Wettbewerb: die vertracktesten, häufigsten, perfektesten Schrittfolgen sind die beste Atzung.
Das Sonnenlicht hat die Farbe des Grases, das es dörrt. Judah betrachtet lächelnd den Zug und die Tänzer und die schwelgenden Dämonen. Es ist ein bukolisches Idyll, an eine Erntedankprozession gemahnend, inmitten von Pampasgras und ausgetrockneten Bachbetten; der mächtige Zug folgt behäbig seinen Jüngern, die ihm den Weg bereiten. Als wäre das Gleis eine Leine, ziehen sie ihn nach wie ein gezähmtes Wildtier, und rund um den plötzlich fügsamen Giganten walzen Hunderte von Feiernden und wirbeln mit ihren Füßen den Sommerstaub auf. Die Kinetophagen umbranden ihre Füße wie Gischt. Judah wundert sich, welche Energie sie im Rhythmus finden. Pulsationsmagie. Was für ungeahnte Kalorien die wiederholten Geräusche enthalten.
Judah schaut und liebt den Eisernen Rat. Er klappt ein Stativ auseinander. Er ist kein guter Heliotypist, doch er weiß, als er das Durcheinander aus Beinen und Eisen und sinkender Sonne anvisiert, dass diese Aufnahme genauso sein wird, wie er sie sich wünscht. Bewegungsunscharf und unter primitiven Bedingungen in der kleinen Dunkelkammer entwickelt, doch über der zu erwartenden geisterhaften Überlagerung von Beinen und Dämonen, werden der Ewige Zug und das Lächeln und die Leiber der Tänzer deutlich zu erkennen sein. Von ihm in Sepia fixiert, gefangen in einem immer währenden Augenblick, wie von den Stiltspear mit ihrem Golemlied.
Im Osten kommt ein Aerostat in Sicht. Nähert sich mit dem typischen gravitätischen, raubtierhaft behäbigen Wiegen, kommt fett aus dem Morgen auf sie zugeschwommen.
Die ungehobelten Wyrmen keckem und schimpfen und fliegen ihm Obszönitäten keifend entgegen.
Sie schrumpfen zu Punkten vor dem aufgeblähten Walfisch aus Leder, umschwirren die Gondel, bringen sie zum Schaukeln. Judah hört flache Geräusche und denkt unwillkürlich an platzende Papiertüten, aber es sind Schüsse, und die Wyrmen spritzen auseinander. Sie fallen, lassen sich wo sie sind aus dem Himmel fallen, legen die Flügel an und stürzen erdwärts, schwenken ein in eine Parabel, die den Zug zum Endpunkt hat. Man hört ein kollerndes Geräusch, ein gewaltiges Räuspern, und Glas und schwarzer Qualm stieben aus den Fenstern des Luftschiffs.
- Ja, stößt Uzman hervor.
Das Luftschiff erzittert. Pulverschmauch quillt aus der Hülle. Es wird lädiert nach Hause hinken, nach New Crobuzon oder zu der Basis hinter dem Horizont, wo Kommandotruppen der Miliz auf ihren Einsatzbefehl warten. Wo weitere Luftschiffe stationiert sind. Größere Orlogs, mit Bomben bestückt. Mit Fenstern, die Topfgranaten nicht zerbrechen können.
New Crobuzon hat sie aufgespürt. Die Versammlung an diesem Abend entwickelt sich zum Pandämonium. Vorschläge prallen gegeneinander. Man versucht, sich gegenseitig zu überschreien. Die Frauen, die Huren waren, haben Ann-Hari als Sprecherin entsandt.
Noch andere finden den Weg zu ihnen. Aus der Steppe kommen Gestalten. Die Kunde vom Eisernen Rat verbreitet sich auf unsichtbaren Liederwegen. Er zieht die Enteigneten an, die Gesetzlosen.
fReemade. Ein kleiner Stamm. Flüchtlinge aus New Crobuzon, schon lange der Zivilisation entfremdet. Der Anführer ist ein Mann ohne Arme, dafür mit nutzlosen, dekorativen Käferflügeln ausgestattet. Zu seiner Gruppe gehört ein Mann mit gummierten Zangen, ein anderer mit der Schnauze eines Krokodils, ein großer Köter mit dem Kopf einer hübschen Frau. Der Hundekörper ist der eines Rüden. An ihrer Kleidung aus Fellen und Häuten und den Ketten aus durchbohrten Steinen, an ihrer Hautfarbe wie Holz oder Tee erkennt Judah, dass sie seit Jahren als fReemade leben.
- Wir haben von euch gehört, erklärt ein Mann. Er und seine Familie
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