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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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auf die Wange, und schnippte mit der anderen den Gegentakt. Über seinem Kopf hing, unbewegt, eine Wolke schwarzer Punkte, Fliegen, Stechmücken, unbewegt vom Wind: eine unnatürliche, umfassende Stasis. Als der Zug anruckte und ein paar Meter weiterrollte, entfernte sich Judah und ließ die Hand voll regungslos an Ort und Stelle gebannter Insekten zurück.
    Wyrmen des Eisernen Rats schwärmten aus. Sie sollten Ausschau halten nach dem Ende des Malakornu. Wie zu erwarten, kehrten einige nicht wieder, verschwunden in einer Falte der Luft, oder sie hatten plötzlich verlernt zu fliegen oder waren versteinert oder zu Welpen regrediert oder zu Garnknäueln geworden. Die meisten aber kamen zurück, und nach vielen Tagen draußen, wo das Monströse sich mit dem Alltäglichen verquickte, berichteten sie den Dirimisten, dass die Grenze nahe war.
     

     
    Sie legten das letzte Stück Schienenstrang entlang eines Pfades, von dem ihre Geomanten sagten, er wäre ambulatorisch, ortswandelnd, und würde die Verfolger in die Irre führen. Die Lok, ringsum behängt mit neuen Raubtierschädeln, neuem Tod, die Waggons dahinter zerschrammt und gezeichnet von der Reise, dampfte der Zug in Serpentinen an einer Bergflanke hinauf. Cutter merkte, dass er sich keine Gegend mehr vorstellen konnte, die nicht den Stempel des Torques trug.
    Sie erreichten den Kamm, die Hämmer schlugen letzte Nägel ein, hinten wurden die Schienen abgeräumt. Cutter blickte stumm auf eine vom Wind modellierte Landschaft aus Rauchstein, fantastisch, skurril, jedoch bar der Krankhaftigkeit, der erschreckenden, maßlos wuchernden Fekundität des Malakornu.
    »Alle Götter«, hörte Cutter sich selbst sagen. Jubel brandete auf, spontan, erleichtert, glücklich. »Alle Götter und Jabber und beim zwiegeschwänzten Seibeiuns, wir sind durch!«
    Sie wählten eine Route am äußersten Rand entlang, dem Scheidewall, der die Ausläufer des Torques von dem gesunden Land trennte. Sie legten die Schienen über die Rauchsteinebene und kehrten zurück in das von den vertrauten Naturgesetzen beherrschte Land.
     

     
    Der Ewige Zug rollte durch den Rauchsteingarten. Die Winde hatten bauschige Gebilde geschaffen, ambossförmige Kumulonimbus, auf deren flacher Oberseite sie ihre Gleise verlegten, stets in der Angst, sie könnten sich unvermutet wieder auflösen. »Irgendwo da unten ist der Weg, auf dem wir hergekommen sind«, sagte Judah. Die schmale Kluft, die sie vor Jahren geschaffen hatten, war längst unkenntlich gemacht von hochwölkendem Gestein.
    Judah, Cutter und Thick Shanks spazierten im Lee der soliden Wolke entlang, am Rand des Malakornu.
    »Ein paar von uns haben Angst«, bemerkte Thick Shanks. »Die Ereignisse sind außer Kontrolle geraten. Scheint, wir haben nicht mehr die Wahl bei dem, was wir tun.« In dem warmen Wind klang seine Stimme dünn.
    »Manchmal hat man keine Wahl«, antwortete Judah. »Manchmal trifft das Schicksal die Entscheidungen. Uns bleibt zu hoffen, dass es die richtigen sind. Da, seht doch. Ist das nicht die Stelle?«
    Sie hatten gefunden, wonach sie suchten, einen Felsen, geformt wie das schraubenförmige Horn eines Narwals, von Efeu überträufelt, schütter bewachsen mit vereinzelten Stoppeln zerrupften Gestrüpps. Der Boden sah anders aus als der in der Umgebung, gezeichnet von den verblassten Spuren tiefer Rinnen, von Sprengungen, die dem Ewigen Zug einen Weg gebahnt hatten, vor vielen Jahren.
    »Hier war das, als die Miliz uns im Nacken saß«, meinte Judah. »Um Haaresbreite sind wir davongekommen.«
    Er stand vor der sich in die Höhe wendelnden Steinmauer und zupfte an einem Zweig Steinbrech, doch auf den zweiten Blick erkannte Cutter, es war kein Zweig, sondern ein Knochen, der aus dem Fels ragte. Ein welker Handwurzelknochen, noch umgeben von den verwitterten Resten eines Ärmels aus Leder.
    Judah meinte: »War zu langsam.«
    Ein Mann im Stein. Eingeschlossen von einer Fontäne aus wallendem Brodem, der zu Leim werdend ihn festhielt und zu seinem Grabmal erstarrte. Cutter schaute mit großen Augen. Rings um den Knochen ein schmaler Streifen Luft, eine dünne Röhre, wo das nun verweste Fleisch des Armes gewesen war. Weiter drinnen musste ein Hohlraum sein, die lebensechte Abformung eines menschlichen Körpers, der organische Inhalt verzehrt von Maden und Bakterien. Eine Druse, ein Ossarium in der Gestalt eines Mannes. Der Boden bedeckt von Knochen und Knochenstaub.
    »Einer von uns oder ein Milizzer. Kann mich nicht mehr erinnern.

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