Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
Crobuzon ohne Beschädigung. Durch abgelegene Tunnels, über eiserne Gitterstege und Leitern gelangten sie in das eigentliche Bahnhofsgebäude. Ihre toten Freunde mussten sie in dem geheimen Garten zurücklassen. Sie hatten keine andere Wahl.
    In der gewaltigen Stahlträgerhöhle der Perdido Street Station, der kirchgroßen zentralen Wartehalle, entledigten Judah und Cutter sich ihrer Waffen, reinigten so gut es ging ihre von den Horribeln beschmutzte Kleidung und mischten sich unter die späten Reisenden und die stets präsente Miliz. Sie stiegen in einen Vorortzug.
    Umgeben von Arbeitern der Spätschicht zockelten sie über die mittelständische Schlichtheit von Ludmead. Als die Kuppeln der Universität von New Crobuzon in den nach Norden schauenden Fenstern auftauchten, stiegen sie an der nächsten Station – Sedim Junction – aus. Sobald die Perrons sich geleert hatten, führte Cutter Judah zu den sich gabelnden Gleisen in Richtung der Strecken nach Kelltree und Dog Fenn.
    Einige Linien ragten in das Territorium des Kollektivs hinein, wo man bemüht war, Kurzstreckenverbindungen aufrechtzuerhalten, mit Anschluss an Triestis Netz, von Syriac Rising nach Saltpetre, von Low Falling Mud nach Rim. Die regulären Züge und die mit der Fahne des Kollektivs fuhren sich auf demselben Gleis entgegen und blieben über dem Dächerfraktal stehen, jeder auf seiner Seite der quer über den Gleisen errichteten Barrikade.
    Die Rippen bäumten sich gewaltig in den Himmel. Auf halber Länge, etliche zehn Meter über dem Hochgleis, sah man die gesplitterten Zacken, wo eine der Rippen von Granaten getroffen worden war. Die schartige Fläche des Bruchs schimmerte in hellerem Weiß, auch bereits vergilbend. Unten sah Cutter das Loch in der Straße, wo das abgebrochene Stück eingeschlagen war, und die zerstörten Häuser. Es lag immer noch dort, zwischen Bombentrichtern, tonnenweise Elfenbein.
    Sie wanderten auf einem stillgelegten Gleisstück entlang, Schornsteinkappen ragten aus dem Straßenmorast wie neugierig lugende Periskope. Endlich sahen sie den Wall aus Sperrmüll, der die Gleise blockierte. Fackeln blakten. Unten in der Straße wurde gekämpft, wichen die Kollektivisten dem Druck der vorrückenden Miliz, schossen aus der Deckung von Trafiken, Voxiteratorkiosken, von eisernen Pfeilern.
    Hinter der Barrikade kam von Süden, aus Richtung der Kelltree Docks, ein Guerillazug herangerast – sie konnten die Lichter sehen und den weißen Dampf. Er nahm von oben die Miliz in den Straßen unter Feuer.
    »Halt, ihr Spaßvögel!«, rief es von der Barrikade. Cutter suchte nach Worten, um höflich Einlass zu erbitten, aber Judah kam ihm zuvor. Die Worte brachen aus ihm hervor, laut, mit der herrischen Ungeduld einer tiefen Erschütterung und Müdigkeit.
    »Weißt du, wen du vor dir hast, Chaver? Lass mich passieren, auf der Stelle. Ich bin Judah Low. Ich bin Judah Low.«
     

     
    Oris Wirtin machte ihnen auf. »Ich weiß nicht, ob er noch einmal wiederkommt«, sagte Cutter, und sie schaute zur Seite und presste die grünen Lippen zusammen und nickte. »Ich räume später auf«, meinte sie. »Er ist ein guter Junge. Ich habe ihn gern. Eure Freunde sind hier.«
    Curdin und Madeleina waren in Oris Zimmer. Madeleina liefen die Tränen über das Gesicht. Sie saß neben dem Bett und gab keinen Laut von sich. Curdin lag auf der blutgetränkten Matratze. Er schwitzte.
    »Sind wir gerettet?«, fragte er, als Judah und Cutter hereinkamen, und sprach weiter, ohne die Antwort abzuwarten. »War ziemlich hart da draußen.« Sie setzten sich zu ihm. Judah stützte den Kopf in die Hände. »Wir hatten ein paar Geiseln, einige Priester, Abgeordnete, von der Gute-Ernte-Partei, die Clique unserer lieben Verstorbenen. Und die Leute … Die Leute gerieten außer Rand und Band.« Er schüttelte den Kopf.
    Nach ein paar Minuten Schweigen: »Er ist tot oder stirbt«, sagte er und tippte auf seine Hinterhand. »Der da. Der Kerl in mir drin. Das war das Schlimmste an der ganzen Sache.« Er versetzte seinem eigenen zerschossenen Hinterbein einen Hackentritt.
    »Manchmal schien es in eine andere Richtung zu wollen. In meinem Bauch ist ein Knoten. Ich möchte wissen, ob das ein toter Mann war, oder ob sie ihn da drin am Leben gelassen haben. Ob sein Gehirn funktioniert, da drin, im Dunkeln. Er müsste verrückt geworden sein, glaubt ihr nicht? Ich war entweder zur Hälfte eine Leiche oder zur Hälfte ein Irrer. Ich war vielleicht ein Gefängnis.«
    Er hustete,

Weitere Kostenlose Bücher