Der Eiserne Rat
Eine singende Familie, zwei als Puppen ausstaffierte Kinder und ihre Mutter am Pianino. Der größte Teil des Publikums schenkte ihnen keine Beachtung.
Schlange, dachte Ori. Da stellte sie sich vor die Leute, Adely, und schien großzügig den Anfängern den Weg auf die Bühne ebnen zu wollen. Aber die Leute waren ihretwegen hier, folglich war ihr kleiner Stimmungsmacher lediglich eine Hypothek für die, die nach ihr kamen. Sie mussten enttäuschen, ganz egal, wie gut sie waren. Es war schwer genug, vor einem großen Namen auftreten zu müssen, auch wenn der Auftritt nicht schon von vornherein so hintertrieben wurde, und sei es noch so charmant. Alle würden sich durch ihren Auftritt quälen, ignoriert von einem Publikum, dass nur darauf wartete, dass Adely wieder auf die Bühne kam.
Das melodische Trio machte Platz für einen Tänzer. Er war nicht mehr jung, aber gelenkig, und aus Höflichkeit verfolgte Ori seine Darbietung. Aber damit gehörte er zu einer Minderheit. Dann kam ein singender Komiker, ein armer Tropf, den man mit oder ohne Adelys schlauen Schachzug ausgepfiffen hätte.
Sämtliche Interpreten des Abends waren Menschen und ohne jedes Remaking. Ori wurde nachdenklich – war es Zufall, dass, während diese Spifeds im Publikum saßen, kein Künstler einer anderen Rasse auf der Bühne stand? Zogen die Spitzen Federn, die radikalen Nachfolger der Drei-Feder-Partei, ihre Fäden im Follibecker? Der Gedanke war widerwärtig.
Endlich war der trostlose Faxenmacher fertig. Zeit für den letzten Aufwärmer. PUPPENTHEATER FLEX’IBILIS stand auf den Handzetteln. ZUR AUFFÜHRUNG KOMMT DIE TRAURIGE UND LEHRREICHE MORITAT VON JACK GOTTESHAND. Um sie zu sehen, war Ori gekommen, nicht wegen Adely Gladly.
Es entstand eine minutenlange Pause, während hinter der Bühne Vorbereitungen getroffen wurden. Im Publikum plauderte man über die Zugnummer des Abends, die Lerche aus Dog Fenn. Ori wusste, was die Puppenspieler aufbauten, und er lächelte.
Als der Vorhang sich schließlich teilte, geschah es ohne Tusch oder Trommelwirbel, und die Spieler warteten ab. Deshalb blieb es sekundenlang unbemerkt, bis zu einem Ächzen hier und da, als der Tabaksqualm sich zu lichten schien und die Bühne auf der Bühne sichtbar wurde. Flüche ertönten. Ori sah einen von den Spifeds sich erheben.
Es gab das Übliche – das karrengroße Puppentheater mit den kleinen geschnitzten Figuren in bunten Kostümen stocksteif auf ihrer Bühne –, aber die Seitenflügel und das Proszenium hatte man entfernt, und die Puppenspieler waren sichtbar, Milizoffizieren täuschend ähnlich in dunkles Grau gekleidet. Und auf der Bühne verstreut befanden sich noch andere Gegenstände unklarer Verwendung. Auf ein aufgespanntes Laken im Hintergrund projizierte eine Laterna Magica Zeitungsartikel. Leute standen herum, von denen man nicht wusste, was sie darstellen sollten, eine Gruppe Schauspieler, und Musikanten, ein verlottertes Trio, dem die Flex’ibilis den Vorzug vor dem Hausorchester gaben. Sie waren mit Flöten und Pfeifen bewaffnet und hielten Trommelschlägel an Metallplatten.
Ori hob kurz den hochgereckten Daumen in Richtung Bühne. Seine Freunde standen still und stumm, bis das Geraune einen verärgerten, schließlich drohenden Unterton bekam und stellenweise aus dem Publikum Verpisst euch! gerufen wurde. Haut ab!
Und dann rollte Donner durch das Haus, als einer der Musikanten gegen die Eisentafeln schlug. Augenblicklich, unter dem langsam aushallenden Dröhnen, stimmte ein anderer eine gefällige, heitere Melodie an, erkennbar an das von Straßensängern gepflegte rhythmische Parlando angelehnt, und sein Kollege ließ die Trommelstöcke sacht gegen die Tafeln vibrieren, spielte sie wie eine Schnarrtrommel. Ein Schauspieler trat an die Rampe – untadeliger Anzug, gewichster Schnurrbart. Er verneigte sich knapp, lüftete den Hut vor den Damen in der ersten Reihe und grüßte mit einer Cochonnerie, notdürftig kaschiert durch einen ausgewechselten Buchstaben und so durch die Zensur gemogelt, ein wenig überzeugendes Unsinn-Wort.
Wieder brandete Empörung auf. Aber diese Flex’ibilis waren Könner – freche Scherzbolde, ja, aber mit ernsthaftem Konzept –, und sie verstanden sich darauf, ihr Publikum bei Laune zu halten. Nach jeder Impertinenz folgte schlagfertiger, witziger Dialog oder mitreißende Musik, und es fiel schwer, den Unmut aufrechtzuerhalten. Trotzdem war das Ganze eine außerordentliche Herausforderung, oder vielmehr eine
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