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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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die Fäuste.
    »Wozu die Peitsche?«, fragte der Erzähler. Dem kruden Charme der nuevistischen Produktion verfallen, sprangen die Spifeds auf und schrien wieder pfui! pfui!
    »Chab de Pistol«, sagte die Narbenmann-Marionette in den Aufruhr des Publikums hinein. »Chab hier de Messer. Was soll ich aufhem noch ein Zeugs?«
    »Ich hätte da eine Idee, Pickelgesicht«, sagte der Erzähler.
    »Chab auch gehabt a Idee, Hornochs’«, erwiderte die Marionette. »Eins von dem«, er zeigte die Pistole und die Peitsche, »is nix für mich, aha?« Ein eleganter, winziger Mechanismus wirbelte die Pistole in seiner hölzernen Hand herum, sodass plötzlich der Kolben zu Jack Gotteshand zeigte, ein Geschenk für seinen Freund, und das Messer setzte er an dessen Bande.
    Ein großer Bierhumpen von irgendwo hinten im Saal zog im Fluge einen Schweif seines Inhalts hinter sich her und zerschellte spritzend auf der Bühne. Hochverrat!, ertönten Rufe, aber auch andere Stimmen erhoben sich: Gut so, gut so! Ans Licht mit der Wahrheit!
    Unerschütterlich, nur zwischen den knirschenden Glassplittern und Bierpfützen lavierend, fuhren die Puppenspieler mit ihrer neuen Version des Klassikers fort, wo die beiden kleinen Figuren nicht bereits zum Untergang verurteilt waren oder geschlagen mit allzu idealistischen Visionen oder Opfer einer Welt, die ihresgleichen nicht dulden konnte, sondern wo sie noch nicht aufgegeben hatten, wo sie immer noch versuchten zu siegen.
    Ihre Stimmen gingen unter in dem Johlen, Brüllen und Pfeifen. Esswaren prasselten auf die Bühne. Ein Tumult drohte auszuarten, der Prinzipal kam angelaufen, Nerven und Anzug derangiert. Er wurde angetrieben, fast geschoben von einem schmächtigen jungen Mann – ein Angestellter des Büros für Zensur, der als stiller Beobachter während sämtlicher Auftritte hinter der Bühne saß. An diesem Abend konnte er seine Daseinsberechtigung beweisen.
    »Genug, aufhören«, schrie der Direktor und versuchte, die Marionetten wegzureißen. »Man hat mich informiert, dass diese Vorstellung beendet ist.« Sein pompöses Geschwafel blieb ihm im Hals stecken, als er zur Zielscheibe unappetitlicher Wurfgeschosse wurde. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und machte sich noch kleiner, als er ohnehin war. Die Anhänger der Flex’ibilis waren wenige, aber stimmgewaltig, und sie forderten die Fortführung der Vorstellung. Der junge Zensor, der merkte, dass der Programmdirektor sich nicht durchsetzen konnte, trat an die Rampe und wandte sich an das Publikum.
    »Die Vorstellung ist beendet. Dieses Ensemble ist schuldig der unmanierlichen Umtriebe zweiten Grades zum Behufe der Untergrabung bürgerlicher Ruhe und Moral. Es ist hiermit aufgelöst und erwartet ein Gerichtsverfahren.«
    Arschgesicht, pfui, verpiss dich, die Vorstellung muss weitergehen. Welche unmanierlichen Umtriebe? Wieso unmanierlich?
    Der junge Zensor ließ sich nicht einschüchtern und war nicht gesonnen, diese Dissidenz in Worte zu fassen. »Die Miliz ist alarmiert, und jeder, der bei ihrem Eintreffen noch anwesend ist, steht unter Verdacht des Einverständnisses mit der fraglichen Aufführung. Bitte verlassen Sie den Saal, auf der Stelle.« Die Atmosphäre war zu aufgeheizt, als dass man seinen Worten Folge geleistet hätte.
    Weitere Gläser flogen durch die Luft, die Getroffenen jaulten. Ori sah, dass die Spifeds Kurs auf die Bühne nahmen, um den Künstlern eine Abreibung zu verpassen. Er stand auf und winkte seinen Freunden, und sie arbeiteten sich durch die Menge, um den Fäuste schwingenden Spifeds in den Weg zu treten, und im Nu tobte die Saalschlacht.
    Adely Gladly stürzte aus ihrer Garderobe herbei, bereits in ihrem gewagten Kostüm, und flehte aufhören, aufhören. Ori warf ihr einen Blick zu, unmittelbar bevor er sich am Kinn irgendeines Spifeds die Knöchel blutig schlug, dann wandte er sich wieder den dringlicheren Geschäften zu. Auf der Bühne brachten die Puppenspieler ihre Requisiten in Sicherheit. Über dem Radau des zu Bruch gehenden Mobiliars, der splitternden Gläser, der Schläge und des Gebrülls hörte man die liebliche Stimme der Nachtigall von Dog Fenn flehen und beschwören, doch Frieden zu halten, und niemand schenkte ihr die geringste Beachtung.

 
Kapitel 7
     
     
    Das Stück war aus und vorbei, und die Miliz, als sie kam, war mehr daran interessiert, das Gebäude zu räumen, als Verhaftungen vorzunehmen. Ori hielt die Spifeds lange genug auf, dass die Puppenspieler ihre Siebensachen

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