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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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in der daneben ein Großindustrieller.
    Vor der Rampe, dicht neben dem Orchester, drängelte sich mit Blick auf Adelys anbetungswürdige Fesseln ein Klumpen Männer und Frauen, polyglott und ein ethnisches Potpourri. Ori vertrieb sich die Zeit mit einer Bestandsaufnahme.
    Eine aalglatte Clique von Galgenvögeln, kleine Gangster und ihre Bosse, ausgemusterte Freischärler, entlassene Korrigenden, halbweltgeile Reiche und Kesselflicker, Fechtbrüder, Luden und ihre Pferdchen, Glücksritter, Messerschleifer, Dichter und Polizeispitzel. Menschen, vereinzelt ragten die Schädel von Kaktusleuten aus der Menge (Einlass nur, wenn rasiert), die Käferköpfe von Khepri. Zigarillos klebten an Unterlippen, Gäste hauten mit Gläsern oder Besteck auf den Tisch, während Kellner auf dem mit Sägemehl bestreuten Boden zwischen ihnen herumwieselten. An den Rändern des Saals bildeten sich Grüppchen; jemand wie Ori – regelmäßiger Gast im Follibecker – konnte erkennen, wo sie überlappten und wo Abstand hielten, und daraus auf ihre Zusammensetzung schließen.
    Garantiert befand sich Miliz im Saal, aber natürlich nicht in Uniform. Ganz hinten der hoch gewachsene, muskulöse Mann, Derisov, war ein Spitzel – jeder wusste es, Unklarheit herrschte jedoch darüber, wie hoch seine Verbindungen reichten, weshalb man davon absah, ihn aus dem Weg zu räumen. Neben ihm ereiferten sich Angehörige der bildenden Künste mit sektiererischem Fanatismus über ihre jeweiligen Schulen und Richtungen.
    Näher bei Ori und ihn fixierend, ein Tisch piekfein ausstaffierter junger Männer, Anhänger der Spitze-Feder-Partei, die ostentativ trocken ausspuckten, wenn ein Angehöriger einer anderen ethnischen Gruppe in ihre Nähe kam. Ori hassten sie naturgemäß noch mehr als Khepri oder Kakti, wegen seiner Xenophilie, und plötzlich ermutigt von der Atmosphäre im kosmopolitischen und raubeinigen Follibecker, schaute Ori ihnen in die Augen und legte einen Arm um die betagte Vodyanoi neben ihm. Sie wandte überrascht den Kopf, doch als sie die Spifeds entdeckte, grunzte sie beifällig, schmiegte sich an Ori und machte abwechselnd ihm und ihnen schöne Augen.
    »Guter Junge«, sagte sie, doch Ori schlug das Herz bis zum Hals, und er hielt den Blick unverwandt auf die vier Männer gerichtet, die ihn ihrerseits musterten. Einer redete zornig auf seine Begleiter ein, aber man hieß ihn schweigen, und derjenige, der ihn beschwichtigt hatte, erwiderte Oris Blick, zog die Augenbrauen hoch, tippte auf seine Uhr und formte mit den Lippen: Später.
    Ori hatte keine Angst. Seine eigene Truppe war in der Nähe. Fast hätte er dem Spifed frech herausfordernd zugenickt, aber selbst eine solche ironische Fraternisation war ihm zuwider, und er wandte sich ab. Hier, da und dort im Saal verstreut, sah er seine Freunde und Mitstreiter bei ihren hitzigen Disputen, nicht weniger leidenschaftlich als vorhin die Maler, aber er konnte sich darauf verlassen, dass sie im Notfall sofort zur Stelle sein würden, um ihn herauszuhauen. Und es waren ihrer nicht wenige. Die Spitzen Federn konnten es mit den Insurrektionisten nicht aufnehmen.
     

     
    Die hartgesottenen Anbeter vor der Bühne waren inzwischen völlig aus dem Häuschen, grölten im Chor den Text des Couplets, imitierten hingebungsvoll mit den Fingern Regentröpfelgeräusche zum Schlussrefrain – »noch einmal – im Rehehegen« – und spendeten dann wonnetrunken tosenden Applaus. Spifeds, Künstler und alle anderen Grüppchen fielen begeistert mit ein.
    »Danke, ihr Lieben, danke, danke, ihr seid wunderbar«, zwitscherte Adely in den Beifall hinein, und es sprach für ihre Bühnenerfahrung, dass man sie über den Lärm hinweg hören konnte. Sie sagte: »Ich bin kurz rausgekommen, um guten Abend zu sagen und euch alle zu bitten, seid nett zu den Lämmchen, die euch gleich zum Fraß vorgeworfen werden. Heißt sie willkommen, zeigt ihnen, dass ihr sie liebt. Es ist das erste Mal, für einige von ihnen, und wir wissen alle, wie das ist beim ersten Mal – nicht so doll, stimmt’s, Mädels?«
    Gelächter daraufhin und freudige Erwartung, denn die letzten Worte waren offensichtlich eine Überleitung zu ihrem Song »Bist du schon fertig?«. Und wirklich, da quakte die wohl bekannte komische Oboe wie eine Ente, die Eröffnungsakkorde erklangen, und Adely holte tief Atem, hielt inne, rief: »Später!«, und lief von der Bühne, gefolgt von nicht ernst gemeinten Buhrufen und Pfiffen.
    Die erste Nummer trat ins Rampenlicht.

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