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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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unbewacht zurück.
    Ori konnte sich nicht entsinnen, den verwahrlosten Mann kommen gesehen zu haben, der die Stufen des Prangers zu Jack Gotteshand hinaufstieg. Er stand ihm deutlich vor Augen, doch er wusste nicht, ob es sich um die Erinnerung seines sechsjährigen Selbst handelte oder ob es ein Mosaik aus all den Berichten war, die ihm in späteren Jahren zu Ohren gekommen waren. Der Mann – hier erschien seine Marionette auf der Bühne, während die Miliz anderweitig beschäftigt war – hatte ein unverwechselbares Äußeres. Kahl, narbig über und über, das Gesicht eine Kraterlandschaft, wie von Jahrzehnten eines wütenden Ausschlags zerfressen, tief liegende, weit aufgerissene Augen, in Lumpen gehüllt, einen Schal vor Mund und Nase, um nicht erkannt zu werden.
    Die Marionette, die in der Haltung des klassischen Theaterschurken die Stufen hinaufschlich, rief mit harscher Stimme nach Jack Gotteshand, wie vor zwanzig Jahren der Mann aus Fleisch und Blut es getan hatte. Er rief Jacks Namen, damals, an jenem Tag. Und trat auf ihn zu und zog eine Pistole heraus und ein Messer (die blechernen Spielzeugwaffen der Marionette blinkten). Erkennst du mich, Jack?, hatte er gerufen und rief seine Puppe. Das bin ich dir schuldig. Es klang triumphierend.
    In den ersten Jahren nach der Ermordung von Jack Gotteshand spiegelten die Stücke die klischeehafte Interpretation des Ereignisses: der Narbenmann – Bruder, Vater, Geliebter eines der Opfer der mörderischen Mantishand – war zu sehr von Rachedurst besessen, um den Lauf der staatlichen Gerichtsbarkeit abzuwarten. Von Hass getrieben, verblendet und nach Blut lechzend, wollte er das Recht in eigene Hände nehmen. Mochte es begreiflich sein und niemand ihm einen Vorwurf machen, das Gesetz duldete keine Selbstjustiz: Als sie ihn hörten und als sie ihn sahen, war es die bedauerliche Pflicht der Miliz, ihn zu warnen und, als das nicht fruchtete, das Feuer zu eröffnen, womit sie nicht nur seinem Vorhaben ein Ende setzten, sondern Jack Gotteshand ebenfalls töteten, der von einigen verirrten Kugeln getroffen wurde. Bedauerlich, weil dem legalen Procedere damit vorgegriffen wurde, obwohl kein Zweifel daran bestand, dass der Ausgang früher oder später der gleiche gewesen wäre.
    An diese Vorgabe hielt man sich jahrelang, und auf der großen Bühne wie im Puppentheater zeigte man Jack als den klassischen Schurken, merkte aber, dass das Publikum ihn trotzdem liebte.
    Mit größerem zeitlichen Abstand änderte sich die Auffassung, neue Interpretationen des Stoffes entstanden als Reaktion auf die Frage: Weshalb hatte Gotteshand den Narbenmann mit einem Freudenruf begrüßt, wenn der doch kam, um ihn zu töten? Augenzeugen erinnerten sich daran, wie der Narbenmann die Pistole hob, und meinten, sie hätten gesehen, wie Jack sich ihm entgegenbäumte. Das machte die Tötung zum Gnadenakt. Einer von Jacks Bande, der sein eigenes Leben aufs Spiel setzte, um der Erniedrigung seines Hauptmanns ein Ende zu machen. Und vielleicht war es ihm gelungen? Konnte man sicher sein, dass es eine Milizkugel war, die den Schlusspunkt unter das Leben des Delinquenten setzte? War der fatale Schuss vielleicht ein Freundschaftsdienst gewesen?
    Diese Fassung gefiel dem Publikum erheblich besser. Damit war Jack Gotteshand wieder der, als den Graffiti ihn zu Lebzeiten gefeiert hatten – der Held des einfachen Mannes. Die Geschichte wuchs zu einer großartigen, moralischen Tragödie um Hoffnungen, hochherzig, aber zum Scheitern verurteilt, und obwohl Jack und sein namenloser Kumpan nunmehr auf ein Podest gehoben waren, zeigten die städtischen Zensoren sich tolerant, zur Überraschung vieler.
    In einigen Inszenierungen tötete der Narbenmann erst Jack, dann sich selbst, in anderen traf ihn im Moment des Abdrückens eine Kugel der Miliz. Die Sterbeszenen beider Männer wurden immer weiter ausgebaut. Nicht erwähnt wurde hingegen die Wahrheit, so wie Ori sie in Erinnerung hatte – dass Jack zwar tot in seinen Fesseln hing, der pockennarbige Mann hingegen spurlos verschwunden war und verschwunden blieb.
    Die kleinen Stufen hinauf lief das Püppchen des pockennarbigen Mannes, Waffen in den Händen. Es hob die fallen gelassene Peitsche des Gefangenenwärters auf (ein kompliziertes Arrangement aus feinen Drähten und Fäden ermöglichte die Bewegung), wie der Mann es der Überlieferung zufolge getan hatte. Aber was war das? »Was ist das?«, rief der Erzähler. Ori lächelte – er kannte das Skript. Er ballte

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