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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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habe ich jemanden geliebt, wie ich ihn liebte, als er mich küsste und mir Adieu sagte. Weil ich glaube, felsenfest glaube, dass er wusste, dass ich es wusste. Es war sein Geschenk an mich, dieser Abschied, dieses Lebewohl. Genau wie das Frühstück mein Geschenk an ihn war. Nie vorher oder nachher habe ich jemanden geliebt wie ihn, ausgenommen einen Mann.«
    Nachdem klar war, dass er geendet hatte, gab es Bravorufe von den Weinhirten, und weitere Beifallsbekundungen tönten hier und da aus den Reihen der Zuhörer. Elsie und Pomeroy klatschten ein wenig, wobei Pomeroy es vermied, ihn anzuschauen. Zu sehen, wie der Hüne bedächtig die großen Hände zusammenschlug, ließ in Cutter ein Gefühl der Zuneigung aufwallen. Sei gesegnet, dachte er, und als Krönung des Ganzen schenkte Elsie ihm ein kurzes Lächeln.
    Und dann sah er Judah, und das Lächeln auf den Zügen des Golemisten war anders – von innen leuchtend, an die ganze Welt gerichtet, war es das Lächeln eines Idols, und die Leidenschaft für den älteren Mann brannte in Cutter wie Feuer.
     

     
    Cutter hatte kein Interesse an Göttern. Für einige Figuren aus New Crobuzons Pantheon empfand er eine gewisse Sympathie, gewöhnlich aus wenig frommen Gründen: Krebsfuß zum Beispiel, dessen Possen nach seiner Auffassung nicht alberne Streiche waren, sondern geschickte subversive Manöver. Du bist im Kern ein Insurrektionist, stimmt’s?, hatte er immer denken müssen, während die Priester an Krebsfußens Sankturnalien geduldige Langmut zur Schau trugen. Doch er leistete keinen Gottesdienst. Wenn er betete, war es galliger Hohn oder Opportunismus. Dem zum Trotz erkannte er die Macht von Qurabins Frömmigkeit.
    Der Mönch vermochte das Verborgene und das Verlorene zu entdecken, auch wenn er dafür bezahlen musste. Aus seiner Stimme sprach, wenigstens für Cutters Ohr, jetzt nicht mehr der Hochmut dieser Macht. Er konnte hören, dass etwas sich verändert hatte. Der Mönch resigniert, dachte Cutter.
    »Die Galaggi, sie sagen, es ist – sobrech oder sobrechin lulsur. Ein Wortspiel.« Mit mal lauter, mal leiserer Stimme offenbarte der Mönch das Wissen. »Sobresh bedeutet verabscheuungswürdig, und sobrichi heißt Hauptmann. In meiner Muttersprache gibt es keinen Begriff dafür. In Tesh – unterscheiden wir nicht so genau.« Cutter hörte den Hass, den Grimm in Qurabins Stimme, sobald die Rede auf Tesh kam.
    Er war nicht überrascht, dass am nächsten Tag, als sie aufstanden, Qurabin zu ihnen kam und ihnen eröffnete, er habe sich entschlossen, mit ihnen zu gehen. Dass er ihnen nicht erklären wollte, wo der Eiserne Rat zu finden war, sondern es ihnen zeigen.
    Er will ausruhen, dachte Cutter. Und allein sein. Mit uns. Rafft seinen Mut zusammen. Der Mönch wird mehr und mehr offenbaren, ganz gleich, was es ihn kostet. Was macht es aus? Was hat er – sie –, wofür es sich zu leben lohnt? Wem oder was schuldet er Treue?
     

     
    Regen fiel, doch es war ein anderer Regen. Sonnenstrahlen waren in jedem Tropfen eingefroren wie Insekten in Bernstein, und es sah aus, als regnete es Licht. Die Hiddentowner winkten zum Abschied.
    Susullil lächelte Cutter zu und nickte. »Wir haben uns nie so richtig verstanden, stimmt’s, Kumpel?«, meinte Cutter humorvoll. Qurabins Stimme, das merkwürdige androgyne Parlando, formulierte Abschiedsworte. Keiner schien untröstlich darüber, dass ihr Gott sie verließ.
    Natürlich verstand Cutter kein Wort von dem, was Qurabin sagte. Ihr seid nun für euch selbst verantwortlich, ihr braucht keinen Gott mehr, dachte er. Oder: Lebt weiterhin nach meinen Geboten, auf dass ich nicht wiederkehre und euch mit Blindheit schlage in meinem Zorn, oder: Ich war nie ein Gott, ich war immer einer wie ihr, bin in die Irre gegangen wegen einer idiotischen Religion.
     

     
    Der Weg der Wanderer führte nach Nordnordwesten. Einen Tag und noch einen, bei immer kühleren Temperaturen durch den Wald bergan. Je höher sie kamen, desto tiefer senkte sich das Laubdach.
    Die Bäume wurden spärlicher. Geschöpfe, die an spillerige Bären erinnerten, und Sägezahnwespen groß wie Katzen, tranken an den Tümpeln. Cutter glaubte, Dinge zu sehen, Bewegungen, spürte Augen im Nacken.
    In der unsichtbaren Begleitung des Mönchs verlief ihre Reise anders. Drogon bemerkte es als Erster. »Wir kommen viel zu schnell voran«, blies er Cutter in die Ohren. Er zeigte bergab, auf einen bemoosten, Y-förmig gewachsenen Baum, der deutlich aus der Umgebung hervorstach.

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