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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Wunden hatten sich im Lauf des Heilungsprozesses von innen heraus verfärbt, deshalb trug er jetzt kühne dunkle Narben. Elsie bändigte ihre wilde Mähne mit einem Tuch. Die Bärte der Männer waren lang gewachsen, und sie banden sich die Zotteln mit Lederriemen zurück. Nur Drogon hielt darauf, sich alle paar Tage trocken zu rasieren. Sie horteten ihren schwindenden Munitionsvorrat, jagten mit im Feuer gehärteten Speeren. Sie sahen aus, dachte Cutter, wie Abenteurer, die vagabundierenden Söldner des Kontinents.
    Aber das sind wir nicht. Es gibt einen verdammten Grund für unsere Wanderungen.
    »Welchen Monat haben wir eigentlich inzwischen?«, fragte er. »Sinn? Ich habe den Überblick verloren.« Sie versuchten, die Wochen an den Fingern abzuzählen.
    An einem Abend knetete Judah aus Lehm vier kleine Figuren und brachte sie mit gemurmelten Beschwörungen zum Tanzen, dazu klatschten seine Gefährten rhythmisch in die Hände. Zum Abschluss ließ er sie einen artigen Kratzfuß vollführen, dann zerkrümelten sie wieder zu Erde.
    Er sagte: »Ich möchte euch sagen, dass ich euch dankbar bin. Ich möchte, dass ihr das wisst.« Sie tranken mit Wasser auf sein Wohl. »Ich möchte euch erklären … Wir sind so lange unterwegs, man könnte glauben, der Weg wäre das Ziel, aber so ist es nicht.
    Ich weiß nicht einmal genau, ob ihr an den Eisernen Rat glaubt.« Er lächelte. »Ich nehme es an. Aber für ein paar von euch geht es vielleicht gar nicht mehr darum. Ich glaube, du bist hier wegen deiner Zeit im Freudenhaus, Elsie?« Sie schaute ihm in die Augen und nickte. »Ich weiß, weshalb du hier bist«, fuhr er an Cutter gewandt fort. »Und vielleicht kenne ich sogar deine Gründe, Drogon … Ein Vagant wie du … Mythen und Hoffnungen sind deine Währung, habe ich Recht? Sie sind deine Handelsware, das ist, was die ruhelosen Reiter in Bewegung hält.«
    »Das ist nicht der Grund, weshalb ich mitkommen wollte, Judah Low«, riss Pomeroy das Wort an sich. Judah lächelte. »Du bist für mich das Wichtigste im Leben, Judah. Ich würde für dich sterben, aber nicht jetzt. Nicht bei all dem, was in New Crobuzon los ist. Es steht zu viel auf dem Spiel. Ich bin mitgekommen, weil man dem Eisernen Rat den Garaus machen will, wie du sagst. Und weil ich glaube, dass du es verhindern kannst. Das ist mein Grund.«
    Judah nickte und seufzte. »Genau meine Rede. Diese Sache ist größer als jeder von uns. Der Eiserne Rat …« Er schwieg sehr lange. »Er ist ein rigoroser Verein, die Zeiten erforderten es, hart zu sein. Aber er ist der Rat. Der Eiserne Rat. Und die Regierung von New Crobuzon – sie haben ihn aufgespürt, ich weiß nicht wie. Mein Informant, ein alter Freund … Er hatte guten Grund, mir nichts davon zu sagen, aber er hat es doch getan, Jabber sei Dank. Sie haben den Rat entdeckt, nach dieser langen Zeit. So lange, dass viele Bürger daran zweifeln, dass es ihn je gegeben hat, und viele mehr glauben, er wäre nur ein Lied aus uralten Zeiten.
    Chaverim … Freunde … Wir retten den Eisernen Rat.«
     

     
    Tags darauf rang Qurabin qualvoll mit seinem Augenblick. Der nebulös gewordene Mönch lamentierte, flehte, stieß ein Ächzen untröstlichen Kummers aus.
    Nach einer Weile fragte Cutter ins Leere: »Mönch? Mönch, was ist geschehen? Bist du da? Bist du fort?«
    »Es ist offenbar«, ließ Qurabin sich mit erstorbener Stimme vernehmen. »Ich weiß, wo er zu finden ist, der Eiserne Rat. Aber es hat – es hat mich meine Muttersprache gekostet.«
    Nur Ragamoll war Qurabin noch geblieben, der rüde Jargon der Jugend New Crobuzons, den die Wanderer sprachen.
    »Ich erinnere mich an meine Mutter«, fuhr Qurabin fort. Sinnend. »Ich weiß noch, was sie mir ins Ohr geflüstert hat, aber ich weiß nicht mehr, was es heißt.« Kein Grauen klang aus seiner Stimme, nur fatalistische Billigung. »Ein Ding geht verloren, ein anderes wird gefunden. Ich weiß, welche Richtung wir einschlagen müssen.«
    Sie bewegten sich auf wunderlichen Wegen. Die Farbe des Himmels changierte.
    An einem Lädeltag endete die Ebene vor ihnen abrupt an einer scharfen Kante. Erst jetzt merkten sie, dass es lange Zeit bergauf gegangen war, und sie befanden sich nun auf einer mit Zürgelbäumen bestandenen Spitzkuppe in dünner Luft. Vor ihnen lag eine Senke aus rotem Laterit, eine Schlucht, die sich öffnete, zu weit, um ein Tal zu sein, ein Graben, wo der Kontinent sich auseinander geräkelt hatte.
    Hinter einer langen steinernen Finne verdreckte

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