Der Eiserne Rat
schwarzer Qualm den Himmel.
Judah stand am Rand des Abbruchs und schaute hinunter auf die Schwaden, die nicht von Wildfeuern stammten, und stieß ein urzeitliches Heulen aus. Es war ein Ausbruch überschwänglichen Jubels, roh und ungezähmt, als wäre er schlagartig an den Beginn der Evolution zurückgeworfen worden, als wäre kein Mensch, kein denkendes Wesen einer derart absoluten Emotion fähig. Judah brüllte.
Er wartete nicht. Er kletterte, rutschte, sprang den Abhang hinunter und fand mit traumwandlerischer Sicherheit die schattenhaften Trampelpfade, die die Ebene durchzogen. Cutter holte ihn ein, versuchte aber nicht, ihn anzusprechen. Abendsonnenschein floss dick wie Honig über die Bergkämme.
Jemand rief sie an, Echos verschleierten die Richtung. Eine Frage, ein Kommando in verschiedenen Sprachen in raschem Wechsel. Zuletzt ihre eigene, Ragamoll. Ragamoll, fast zweitausend Meilen weit weg von zu Hause. Cutter atmete schluchzend ein. Drei Gestalten erhoben sich aus irgendeiner Deckung.
»Halt! Nicht weiter!«, rief einer. »Sprecht ihr Ragamoll?«
Cutter zeigte die leeren Hände. Er nickte mit einem seltsam frohen Gefühl. Der junge Mann sprach mit einem ungewohnten Zungenschlag, ein fremder Einfluss formte seine Phoneme außer dem vertrauten Schnarren der südlichen Stadtviertel, Dog Fenns, der düsteren Gassen New Crobuzons.
Judah stürmte auf die drei zu: eine Frau, ein Mann, ein knorriger Kaktus. Hinter ihnen sank die Sonne, sie standen in ihrem eigenen Schatten, und für Cutter waren sie nur Scherenschnitte. Judah hingegen musste von ihnen aus gesehen in Licht gebadet sein, das Gesicht geblendet in Falten gezogen, vergoldet. Judah lachte laut und schwenkte die ausgebreiteten Arme.
»Ja, ja, ja, wir sprechen Ragamoll«, rief er. »Ja, wir gehören zu euch! Gut Freund! Gut Freund!« Wieder stieß er den aus seinem Innersten hervorquellenden Jubelschrei aus, und er war so eindeutig keine Bedrohung, so unverkennbar in einem Taumel des Glücks und der Erleichterung, dass die menschlichen Wachposten ihm ein paar Schritte entgegengingen und die Arme ausbreiteten, um ihn als Gast zu begrüßen. »Freunde«, sagte er. »Ich bin zurück, ich bin zu Hause, ich bin wieder da … Lang lebe der Eiserne Rat. Alle Götter und Jabber und und und in Uzmans Namen …« Bei der Erwähnung Uzmans machten sie erstaunte Gesichter. Judah umarmte einen nach dem anderen, dann drehte er sich um, tränenüberströmt, und lächelte ohne Beschränkung, ohne Mienenspiel, ein Lächeln, wie Cutter es noch nie an ihm gesehen hatte.
»Wir sind am Ziel«, sagte Judah. »Endlich, endlich. Wir sind am Ziel.«
Anamnesis
Der Ewige Zug
Bei jedem Schritt Wasser, und die Wurzeln der Wasserpflanzen sind Stolperfallen. Es ist viele Jahre her, und Judah Low ist jung und unterwegs im Fenn.
- Noch mal, sagt er. Weiter nichts. Da ist kein Bitte und auch keine Notwendigkeit dafür. Das Gerüst dieser Sprache ist Höflichkeit. Grob sein braucht anstrengende und unregelmäßige Deklinationen.
- Noch mal, sagt er und das Stiltspear-Kind zeigt ihm, was es geschaffen hat. Seine Augenbrauen kräuseln sich – er weiß, es ist ein Lächeln –, und es öffnet die Hand, und ein Stiltspear-Spielzeug aus Matsch und Wasserlilien steht in der Biegung der Finger. Das Kind knetet es in Form und singt eine kleine, wortlose, trillernde Melodie, und das Figürchen erwacht. Es kann nur eine Bewegung, die Lilienstängelbeine beugen und strecken. Das tut es mehrere Male, bevor es zerfällt.
Sie stehen an den Rändern einer weiten Fläche, gesäumt von knorrigem Baumwuchs und labyrinthisch verschlungenen Seitenwegen, zufälligen Kanälen. Zweige verschleiern Pfade, und die Vegetation ist so dicht und schwer, so gesättigt mit Moorwasser, dass sie gelatinös wirkt, wie eine seimige Flüssigkeit, die von den Ästen träuft und kurzfristig zur Form von Blättern erstarrt.
Das Hochmoor ahmt alle Landschaften nach. Es öffnet sich zu grünen Wiesen und es kann Wald sein. An Stellen häuft Mulm sich zu Hügeln, ein Tunnelsystem unter dem Wurzelgeflecht, ausgelegt mit Wasserteppich, stockfinster und verschlungen. Man findet leblose Orte, wo knochenbleiche Bäume aus faulig riechendem Wasser ragen, Mooraugen. Moskitos und Stechfliegen kommen in Heerscharen und lassen Judah gnadenlos zur Ader.
Judah empfindet den Brodem des Fenns nicht als drückend. Er ist wie ein Mantel. In den Monaten, die er nun hier ist, hat er gelernt, sich von ihm
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