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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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»Behalt ihn im Auge«, raunte er.
    Cutter versuchte, sich auf seine Füße zu konzentrieren, doch bald war er verwirrt – das Terrain schien sich zur verändern, als wäre es unberechenbaren Launen unterworfen. Eine halbe Meile voraus entdeckte er den fraglichen Baum an einem Flussufer. Er hörte Qurabin durchs Gesträuch brechen und laut mit sich selbst reden, und Cutter duckte sich unter einem dornigen Ast hindurch und ging dann noch zwei Schritte und blieb stehen und hörte Drogon flüstern: »Ich hab’s dir gesagt.«
    Der Wasserlauf lag hinter ihnen. Cutter konnte ihn zwischen den Zweigen hindurch sehen, und da war der Baum, schwarze Rinde, die gespreizten Zweige reckten sich himmelwärts wie flehend ausgestreckte Arme. Auch er befand sich hinter ihnen.
    Es hatte keine Translokation gegeben. Er hatte einfach nur Fuß vor Fuß gesetzt. Seine Gefährten schauten konsterniert, ausgenommen Judah. »Was kostet es dich?«, fragte der Golemist Qurabin. »Diese Wege offenbar zu machen?«
    »Dies sind verborgene Wege, Abkürzungen, vergessene Pfade«, antwortete der Mönch. »Manchmal gestattet der Augenblick mir, sie zu benutzen. Manchmal.« Der Mönch hörte sich müde an. »Ich habe versprochen, dass ich euch führe.«
     

     
    Weshalb so schnell, Mönch?, überlegte Cutter. Du musst nicht diese »Abkürzungen« nehmen. Was bezahlst du für all diese Geheimnisse?
    Qurabin machte, dass sie immer größere Strecken zurücklegten, obwohl sie marschierten und ihre Packen schulterten und kraxelten wie die ganze Zeit vorher. Dank der alltäglichen Absonderlichkeit der Wege des Mönchs kamen sie unglaublich schnell voran. Sie passierten Felspfeiler mitten zwischen Bäumen und fanden sich dahinter auf einer trockenen Hochebene wieder. Die Wälder wurden licht, es war, als wanderten sie durch eine alte, fadenscheinige Tapisserie.
    »Hier entlang – glaube ich«, murmelte Qurabin zum Beispiel, und ihre Kompassnadeln schnurrten wild im Kreis herum, während sie Meilen übersprangen. Sie kamen schneller voran als zu Pferd.
    Cutter erkannte, dass Qurabins verborgene Pfade nicht Ausdruck seiner Frömmigkeit waren, sondern Teil seiner Apostasie. Qurabin entriss dem Augenblick der verlorenen Dinge seine Geheimnisse, tauschte sie ein gegen Teile seiner selbst, und mit jedem Tag, der verstrich, klang der Mönch, als wäre er weniger geworden.
    »Du willst verschwinden.« Cutter sagte es mit leiser Stimme. Der Mönch war entwurzelt, verstoßen, abgeschnitten von seiner Vergangenheit, seiner Heimat. Du strebst nach Auflösung. Mit jedem vergessenen Weg, den du offenbarst, verlierst du einen Teil deiner selbst – wird etwas vor dir verborgen. Du magst nicht mehr. Und auf diese Art willst du dich verabschieden. So, dass es einen Sinn hat. Ihre Reise war Qurabins allmählicher Selbstmord.
    »Du weißt, was der Mönch tut«, bemerkte Cutter zu Judah. »Wir sollten hoffen, dass Qurabin nicht selbst in den Augenblick der vergessenen und verlorenen Dinge eingeht, ehe wir da sind, wo wir hinwollen.«
    »Es ist nicht mehr weit«, sagte Judah. Dann lächelte er, mit einem Ausdruck solchen Glücks, dass Cutter nicht anders konnte, als das Lächeln zu erwidern.
     

     
    Das Gras stand hoch und saftig. Mit Gletscherschutt gefüllte Sölle, morastige Senken und Sandbecken wechselten mit niedrigen Hängen. So viele Wochen waren sie nun unterwegs. Sie sahen Mesquitewäldchen und Ruinen. Die Grasfläche wogte im Wind wie ein grünes Meer. Der Mönch wurde schwächer, weniger merkbar, doch tat er weiter, was er versprochen hatte zu tun. Er führte sie vorbei an Teichen, vorbei an Herden von Wildtieren, an pythongroßen, um Baumstämme geringelte Tausendfüßlern.
    Eines Tages sichteten sie Geschöpfe, deren Bahn bezeichnet war von aufgewirbeltem Staub und Pollen und die durch das fette Gras pflügten wie Wale durch Flachwasser. Borinatch, Steppenschreiter, hufbewehrte Nomaden der Steppe. Ein Familienclan, die Jungen vornweg, die Königin als Nachhut. Die Steppenschreiter waren erheblich größer als ein Mensch. Sie donnerten vorbei in ihrem stockelnden Galopp: Die Beine, ohne Kniegelenk, schwangen aus wie Krücken. Eins der Weibchen wandte ein freundliches Tiergesicht und erspähte sie und winkte. Borinatchgliedmaßen funktionierten auf seltsame Weise. Es sah aus, als wäre ein Teil davon da und dann wieder nicht.
    Die Wanderer waren vom Leben draußen und den Anstrengungen gestählt. Ihre Muskeln wölbten sich, sie waren geübte Schützen. Pomeroys

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