Der Eiserne Rat
verstanden es, nie jemandem im Weg zu sein. Stumm sammelten sie verschmähte Essensreste auf, befühlten Stoffe, sägten die Fühler gegeneinander.
Susullil saß neben Behellua. Cutter beobachtete die beiden und wusste, in dieser Nacht würden sie dem freundschaftlichen Zusammensein frönen, das in seinen Augen Sex war, in ihren, dachte er, vermutlich nicht.
Rund um den Tisch erzählten die Leute Geschichten. Für die Hiddentowner war ihr Gott Qurabin plötzlich ein Fürsprech geworden und irdisch. Der Mönch bewegte sich unsichtbar zwischen den Feiernden und sorgte für die Verständigung.
Durch Qurabin erzählte Susullil der Weinhirte eine Geschichte von der besten Ernte, die das Haus Predicus je erlebt hatte, von der Ausmerzung des Deck-Ebers Primeur zu Gunsten des Designatus, dessen Früchte trockener waren und besser. Er schilderte, welch ein Kampf es gewesen war und seine Trauer über den Tod des alten Kämpen. Als er zu Ende war, klatschten die New Crobuzoner mit allen anderen Beifall.
Dann waren sie an der Reihe, zur Unterhaltung beizutragen, und das Los fiel auf Cutter. Die Hiddentowner verfielen in gedämpftes Skandieren, eine Aufforderung und Ermunterung, und unwillkürlich nahm Cutter den Rhythmus auf, als er zu sprechen anfing. Er stockte, schaute auf seine Schuhspitzen, hob wieder den Blick – trotzig und trunken, beflügelt von dem Gefühl, der Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu sein – und begann:
»Dies ist eine Liebesgeschichte. Die Geschichte einer unmöglichen Liebe. Sie dauerte eine Nacht und einen Morgen.
Fünf Jahre ist es her. Ich traf einen Mann. Wir waren in einer Kneipe im Hafen. Ich lud ihn ein, mit zu mir zu kommen. In dieser Nacht waren wir berauscht von Opja-Tee und Shazbah, und wir taten, was wir alle gern tun, ihr wisst schon, und es war gut.« Die Weinhirten lachten, als Qurabin übersetzte. Elsie und Pomeroy schlugen betreten die Augen nieder. »Und dann, später, als er schlief, schob ich ihn zur Seite und ging zum Nachttopf, und ich sah seine Kleider. Und aus einer Tasche lugte eine winzige Pistole. Wie ein Spielzeug. Ich hatte nie etwas so Raffiniertes gesehen, und obwohl es mich nichts anging, zog ich sie heraus und mit ihr ein kleines Stück Blech.
Das Abzeichen der Miliz. Er war ein Milizzer. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Was hatte er für einen Auftrag? War er ein Drogenfahnder? Von der Sitte? Was auch immer, er hatte mich am Kanthaken. Einen Moment dachte ich sogar daran, ihn zu erschießen, aber natürlich konnte ich das nicht tun. Also dachte ich, vielleicht sollte ich mich jetzt gleich davonmachen oder vielleicht könnte ich ihn auf dem Weg ins Kittchen überreden, dass er mich laufen lässt, und vielleicht dies und vielleicht das. Und am Ende sah ich ein, es gab nichts, was ich tun konnte. Also ging ich zurück ins Bett. Und dabei weckte ich hin auf. Und wir hatten noch einmal Spaß zusammen.« Wieder Gelächter und beifällige Pfiffe. »Und was sagt ihr, als es hell wurde, taten wir’s noch mal.« Ich bin betrunken, dachte Cutter. Es war ihm egal.
»Und ich wartete, und ich wollte ihn anflehen – Gnade – oder ihn bestechen, denn inzwischen wusste ich ja, was ihm gefiel, sollte man meinen, oder? Und ich stand auf und lief nach draußen und dachte, vielleicht sollte ich weiterlaufen und weiter und nicht stehen bleiben. Ich nehme Heuer auf einem Schiff, ich ändere meinen Namen, ich gehe nicht ins Gefängnis, ich werde kein Remade. Aber dann kam ich an einem Bäcker vorbei und dann an einem Gemüsehändler, und ich konnte nicht einfach in die Fremde gehen und alles aufgeben. Ich konnte nicht einfach verschwinden. Statt also die Fliege zu machen, machte ich ein paar Einkäufe. Und dann ging ich nach Hause.
Ich weckte ihn auf. Und wir frühstückten zusammen, vom Feinsten, über meinem Laden in Brock Marsh, und dann ging er. Ein dicker Kuss zum Abschied, und weg war er. Habe ihn nie wieder gesehen. Und ich grüble immer: Möglicherweise hatte er gar nicht die Absicht, mich zu kassieren. Aber was ich möchte, was ich mir wünsche, ist, dass mit all dem, was ich ihm in dieser Nacht Gutes getan hatte, und dann dieses prachtvolle Frühstück – gegrillter Fisch und scharfe Hackbällchen und Obstsalat mit Schlagsahne, dazu eine Blume mitten auf dem Tisch, als wären wir verheiratet –, da glaube ich, dass er mich wenigstens für ein paar Minuten an diesem Morgen wirklich geliebt hat. Ich meine es ernst.
Auch ich habe ihn geliebt. Nie wieder
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