Der Eiserne Rat
doch einige tauft er, gemäß irgendwie auffälliger körperlicher Eigenheiten: Rotaugen und Hoch-an-Jahren und Das Pferd. Judah fragt Hoch-an-Jahren nach den Lehmfiguren. Spielzeug, antwortet sein Informant, oder Spiele, etwas in der Art.
- Du machst also keine mehr?, forscht Judah, und der Stiltspear schnaubt und richtet peinlich berührt den Blick zum Himmel. Judah hat es sich abgewöhnt, rot zu werden, wenn er wieder in ein Fettnäpfchen tritt. Soweit er es versteht, ist es eine Frage der Angemessenheit, nicht des Könnens. Für einen erwachsenen Stiltspear ist es ebenso ungehörig, diese kleinen Figuren zu kneten, wie für einen gestandenen New Crobuzoner, seine Notdurft auf dem Töpfchen zu verrichten wie ein Kleinkind.
Judah begleitete die Muhmen. Im Tageslicht sehen sie aus wie glasiert. Sie sammeln Arme voll gepanzerter Wasserspinnen, die größer sind als Judahs gespreizte Hände, melken ihren Seidenfaden und weben daraus Netze zwischen Wurzeln und versunkenen Ästen, verwandeln kleine Wasserläufe in Fischfallen.
Judah beobachtet etwas Erstaunliches. Ein geschmeidiger Muskelfisch schnellt aus dem Wasser, die Schuppen schillern lapislazuliblau. Im selben Moment hört Judah ein zwei- oder dreistimmiges, gehauchtes bah bah bah bah in schneller rhythmischer Folge, mehrere Muhmen zugleich, und der Muskelfisch bewegt sich nicht mehr. Er bleibt in der Biegung des Sprungs erstarrt, festgebannt an seinen Platz im Wasser. Eine Jägerin spießt ihn auf mit ihrer Speerhand, und sogleich verstummen ihre Gefährtinnen, und der Fisch zuckt wieder, aber zu spät. Judah beobachtet den gleichen Vorgang noch einmal, Tage später, ein kleiner, kaum vernehmlicher Chor, ein summendes Murmeln, das für einen Moment das Wild zu lähmen scheint.
In tieferen Rinnen schwimmen Süßwasserdelfine, hässliche, missgebildet aussehende Geschöpfe. Das Schnauben eines Sarcosuchus erschreckt sie. Die jungen Stiltspear machen sich den Spaß, Judah beizubringen, selbst eine kleine Lehmfigur anzufertigen. Sie haben beschlossen, dass er ein Kind ist wie sie. Seine Versuche sind kläglich und reizen sie zu den Seufzern, die ihr Lachen sind.
Wenn sie ihre Beschwörungsformeln singen, bemüht er sich gutmütig, es ihnen gleichzutun. Er weiß, es ist hier seine Rolle, sich mit Anstand zum Narren zu machen.
- Shallaballoo, sagt er.
- Callam callay cazah!
Und natürlich geschieht nichts, natürlich lassen alle Stiltspear-Kinder ihre Püppchen marschieren, während das seine zu einem klebrigen Kotau vornübersinkt und wieder eins wird mit der Erde, von der es genommen.
Der Sommer neigt sich dem Ende zu, über dem Bruch liegt brütende Hitze. Schüsse krachen. Beim fernen Knall der Flinte erstarrt jeder Stiltspear in Tarngestalt, und sekundenlang steht Judah allein in einem Wäldchen plötzlicher Bäume. Nachdem Stille eingetreten ist, nehmen die Stiltspear wieder ihre wahre Gestalt an. Alle schauen auf Judah.
Da sind Jäger, behängt mit den kleinen Leichen heimischer Säugetiere. Sie erforschen und erkunden das Sumpfgebiet.
An einem von ihnen kommt Judah im Abstand von kaum zehn Metern vorbei, doch er hat gelernt, sich in das Gelände einzufügen, und der Mann hört und sieht ihn nicht, hebt nur das Gewehr und schaut leer an Judah vorbei auf das Geflecht der Wasserarme. Ein anderer ist aufmerksamer. Er hat im Nu das Gewehr im Anschlag und zielt mitten auf Judahs Brust.
- Gottschiet, flucht er. – Um ein Haar hätte ich abgedrückt. Sein Blick wird vorsichtig, als er Judahs Kleidung bemerkt und die für einen Sumpfbewohner kennzeichnende Blässe. Er zeigt mit dem Daumen nach Norden. – Die anderen sind da hinten, drei oder vier Meilen. Bis Sonnenuntergang zu schaffen.
Die Tierwelt in der Umgebung ist verstummt. Nichts von dem üblichen Zwitschern und verstohlenen Rascheln und Plätschern. Judah verlangsamt seinen Schritt. Dies ist ein Schlüsselmoment, und obgleich er niemanden außer sich selbst dafür verantwortlich machen kann, dass er hier am Scheideweg steht, muss er die Augen schließen und nachdenken, was sein wird und was gewesen ist. Er will den Augenblick nicht enden lassen: Mit sturem Trotz verbeißt er sich darin, wie ein Hund in ein Hosenbein, bis die Zeit selbst sich losreißt, blutend, und Judah sich wieder im Jetzt findet und trauriger ist als zuvor.
- Ach dammich, sagt er. Er ist ein missraten Ding in der Zeit. Ein Frösteln überläuft ihn.
Ein überhängender Sporn festen Bodens, ein Pier. Eine
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