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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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seinen Schlammling tanzen lassen. Jeden Tag geht es besser. Inzwischen formt er ellenhohe Figuren aus Lehm und Torf. Er weiß nicht, was er eigentlich tut oder wie die Stiltspear-Kinder ihm die Kunst vermittelt haben oder was der Erwachsene in ihm in Gang gesetzt hat, aber seine neuen Fähigkeiten machen ihm Freude. Sein kleines Exemplar kann jetzt in den Golem-Zirkusspielen die anderen besiegen.
    Es ist seine einzige Freude, und sie wird ihm vergällt dadurch, dass er tief innen weiß, er trägt sie wie Scheuklappen. Noch einmal und noch einmal bittet er die Stiltspear, mit ihm in das Innere des Fenns zu ziehen. Er empfindet es als Versagen, dass er nicht die Worte findet, sie zu überzeugen. Es ist ihre Kultur, sagt er sich, es ist ihre Art, ihr Naturell. Sie – nicht er – tragen die Verantwortung. Doch er mag sich selbst nicht glauben.
    Er fühlt sich an das Rad der Geschichte gefesselt. Er kann zappeln wie ein aufgespießter Schmetterling, doch er kann nicht entkommen.
    Immer deutlicher spürt man Erschütterungen des Bodens, von morgens bis abends krachen die Büchsen der Jäger. Judah versteht etwas. Er schaut zu, wie die Stiltspear eine kalbsgroße Amphibie in die Enge treiben, und gemeinsam singen/hauchen sie den ah ah ah ah ah Rhythmus. Ein, zwei Atemzüge lang verharrt die molchähnliche Kreatur mitten in der Fluchtbewegung, gefangen in zäh gewordener Zeit, und Judah erkennt, die Tonfolge ist ein Echo des Lehmgolem-Liedes der Kinder. Ähnlich, doch ungleich komplexer und erweitert.
    Er ist besessen von dem Singsang. Er will den Moment der Lautwerdung bewahren, die Töne greifen, vereinzeln. Er kann nur versuchen, den Takt so genau wie möglich zu bestimmen und aufzuschreiben, um später den Zusammenhang zu studieren.
    Judah beeilt sich. Er fühlt eine quälende Anspannung in sich wachsen. Sein Fast-Freund Rotaugen hilft ihm. – Wir machen Gestalten, die sich bewegen. Wir alle: die Welpen auf eine Art, die Jäger auf eine andere.
    Und Judah sieht, dass die Beschwörungen der Kinder nur Beiwerk sind, ihre Hände beleben die Golems. Der Singsang der Jäger hat die Wirkung der knetenden Finger der Kinder. Beide Manipulationen sind von der gleichen Art.
    Immer merkbarer, wenn auch noch weit entfernt, der Lärm der Bautätigkeit. Ein grollender, an- und abschwellender Trommelwirbel.
    Der erste Stiltspear, der stirbt, ist ein Welpe, zu verwirrt, um seine Camouflage aufrechtzuerhalten. Ihn trifft die Kugel eines Jägers, den das flackernde Hin und Her zwischen einem vierfüßigen Tierwesen und etwas, das aussieht wie ein vermoderter Baumstumpf, in Angst versetzt. Er weiß nicht, was er getötet hat, und nur Zufall und Neophobie verhindern, dass er das Kind isst. Der Clan findet den kleinen Leichnam.
    Sie sind am See, denkt Judah. Er stellt sich unzählige Wagenladungen vor, Erde, Geröll und Dreck, die den Sumpf ersticken.
    Höchste Zeit, seinen neuen Stamm zu bewegen, dass sie sich zurückziehen, untertauchen. Jede andere Zeit wäre zu spät. Er ist geschlagen. Obwohl er jede Nacht wiederholt, was er schon so oft gepredigt hat – ihr müsst fort, ihr seid in Gefahr, noch mehr werden sterben –, hat er resigniert. Er zieht sich zurück. Ist wieder nur Beobachter.
    Die Stiltspear beratschlagen still. Nahrung wird knapp. Fische und die Wildtiere, die sie jagen, fliehen oder krepieren. Das Fenn wird verseucht mit Gift, mit den Ausscheidungen von Männern und Frauen, einer Jauche aus Latrinen und Scheuereimern, Schwarzpulver, seichten Gräbern.
    Noch jemand stirbt, eine Muhme, allein auf der Jagd, überrumpelt. Das Röhren vom Streckenkopf ist Tag und Nacht hörbar.
    Eine Gruppe von Stiltspear-Jägern kehrt zurück und versucht zu beschreiben, was sie gesehen haben. Ein trockengelegter Kolk, etwas, das näher kommt. Löffelbagger auf dem Vormarsch, weiß Judah, immer zahlreichere Arbeitertrupps.
    - Einer wollte uns angreifen, sagt ein Stiltspear, und er zeigt den anderen das Gewehr, das er erbeutet hat. Es ist beschmiert mit Menschenblut. Sie haben getötet, und da weiß Judah, es ist aus und vorbei. Ihre Zeit ist abgelaufen. Sie erkennen es nicht. Die Sonne ist tot für sie. Nichts ist übrig. Er lernt mit verzweifeltem Eifer, sammelt Wissen, um dieses Volk in seinen Aufzeichnungen zu bewahren, ihm Reverenz zu erweisen.
     

     
    Nach diesem Tod sind die Stiltspear Freiwild.
    Die roten Ohme enthüllen ihren umhegten Gott und formen ihn neu als Morddämon. Sie erneuern einen alten Todeskult. Auserwählte Ohme

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