Der eiserne Thron
jedenfalls nach
den Worten ihres Vaters, und alle akzeptierten sie als die echte Evangeline. Aber sie hatten ja auch keinen Grund, an ihrer
Echtheit zu zweifeln. Ein einziger Gentest würde ausreichen,
um die Lüge wie eine Seifenblase platzen zu lassen und sie
und ihren Vater zu verdammen. Durch einen Klon ersetzt zu
werden war der schlimmste Alptraum eines jeden Aristokraten. Man würde Evangeline zerstören (nicht exekutieren; nur
Menschen wurden exekutiert, Dinge wurden zerstört), und ihr
Vater würde seiner Titel enthoben und verbannt werden.
Sie hatte Finlay Feldglöck noch nicht erzählt, daß sie ein
Klon war, und das, obwohl er ihr das Geheimnis seines Doppellebens als Maskierter Gladiator anvertraut hatte. Evangeline hatte bisher einfach nicht den Mut dazu gefunden. Sie liebte ihn über alles, sie vertraute ihm, aber … Aber. Würde er sie
noch immer lieben, wenn er wüßte, daß sie nur ein Klon war?
Sie würde es zu gerne glauben, aber … Aber. Sie lächelte
freudlos. Wenn sie ihm schon das nicht anvertrauen konnte,
wie sollte sie ihm da erst von ihren Verbindungen zur KlonBewegung und den Espern erzählen? Schließlich war sie es
auch gewesen, die die ESP-Blocker der Wolfs abgeschaltet
und damit den Elfen ermöglicht hatte, den Zeloten in den Saal
zu schmuggeln …
Evangeline bemerkte, wie ihre Gedanken scheinbar ziellos
hin und her irrten, doch sie war nicht imstande, sie unter Kontrolle zu halten. Sie schuldete so vielen Leuten soviel: ihrem
Vater, der Klon-Bewegung, Finlay … und nur ein einziger
Fehler konnte dazu führen, daß sie in Ungnade fiel oder gar
sterben würde. Sie mußte auf jedes Wort achten, das sie sagte,
jede Bewegung – verschiedene Lügen für verschiedene Menschen. Manchmal verspürte sie das Bedürfnis, einfach laut
aufzuschreien, damit endlich alles aufhörte und der ganze
Druck von ihr wich, aber sie konnte nicht. Sie konnte sich
nicht leisten, etwas Ungewöhnliches zu tun oder aufzufallen.
Manchmal dachte sie daran, sich umzubringen, aber dann fiel
ihr immer Finlay ein, und wie sicher und geborgen sie sich in
seinen Armen fühlte. Eines Tages würde sie ihm alles beichten. Eines Tages. Und dann …
Evangeline hob den Blick und sah, wie Finlay lässig heranschlenderte, als würde er sich rein zufällig nähern. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und eine verräterische Röte erschien auf ihren Wangen. Finlay blieb vor ihr stehen und verbeugte sich galant. Sie nickte zur Antwort betont kühl mit
dem Kopf. Nicht mehr als die beiden Erben zweier verschiedener Clans, die sich in der Öffentlichkeit begegneten. Finlay
lächelte sie an, und sie lächelte zurück.
»Meine liebe Evangeline«, begann er leichthin. »Ihr seht
ganz vorzüglich aus. Ich hoffe doch, der unselige Zwischenfall mit dem Esper hat Euch nicht über Gebühr erregt?«
»Nein, überhaupt nicht, Finlay. Ich bin sicher, das die Männer der Wolfs die Dinge im Griff haben. Aber auch Ihr seht
gut aus. Ist das eine neue Garderobe?«
»Selbstverständlich. Ich hasse es so, zweimal die gleichen
Dinge zu tragen. Schließlich bin ich einer der geheimen
Großmeister der Mode und habe die Pflicht, jederzeit innovativ und schockierend aufzutreten. So steht es in meinem Vertrag. Ich sehe, daß Eure Hand leer ist; darf ich Euch vielleicht
ein Glas Punsch bringen?«
Evangeline schüttelte entschieden den Kopf. Sie hatte den
Punsch gesehen. Er war leuchtend pinkfarben und extrem
alkoholreich, wie man sagte. Sie hatte unidentifizierbare
Fruchtstücke darin herumschwimmen gesehen, und einige
davon schienen sich sogar langsam aufzulösen. Wenn man
bedachte, daß der Punsch von den Wolfs spendiert worden
war, dann bestand immer die Möglichkeit, daß Valentin eines
seiner seltsamen, irritierenden Mittelchen hineingegeben hatte. Die meisten Gäste hatten genug Verstand und Voraussicht
gezeigt, um ihre eigenen Getränke mitzubringen. Finlay grinste und zog einen kunstvoll verzierten silbernen Flachmann
aus der Tasche. Er schraubte die Kappe ab und schenkte ihr
einen großzügigen Schluck aus. Evangeline schnüffelte prüfend und grinste ihrerseits, als sie das warme Aroma guten
Branntweins roch. Sie nippte vorsichtig an der gefüllten Kappe und erlaubte ihrem Blick, zu den Augen Finlays zu wandern. Sie spürte, wie ihr Atem sich beschleunigte, und als sie
ihm die Kappe zurückgab, damit auch er trinken konnte, berührten sich ihre Finger.
»Jetzt, da unsere beiden Familien durch eine Heirat
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