Der eiserne Thron
Brüstung stand und mit finsterem Gesicht über die Arena
blickte. Nach und nach begannen sich die Ränge mit Zuschauern zu füllen. Es war noch sehr früh. Niemand, der etwas auf sich hielt, würde freiwillig so früh vor Beginn der
Kämpfe hier eintreffen. Normalerweise wären auch die beiden
Wolf-Geschwister noch nicht hiergewesen, aber sie mußten
ungestört sein, wenn die Information, auf die sie warteten,
endlich eintraf. Und sie wollten sicherstellen, daß sie die
Nachricht von ihrem Vater erhielten.
Daniel war der jüngste Wolf, gerade erst zwanzig geworden. Er hatte den hünenhaften Körperbau seines Vaters, aber
weder die Muskeln noch die Erscheinung, um mit ihm mitzuhalten. Er war als Kind der reinste Tolpatsch gewesen. Sein
Vater hatte versucht, es aus ihm herauszuprügeln – mit dem
Ergebnis, daß er selbst heute noch seine Bewegungen so
knapp wie nur möglich bemaß, wodurch ihnen eine übertriebene Eleganz und Bedächtigkeit anhaftete. Sein Haar bildete
eine lange Mähne bronzeschimmernder Strähnen mit silbernen Farbtupfern darin, die allerneueste Mode. Daniel trug die
formelle Kleidung, die sein Vater ihm für den Auftritt der
Familie in der Öffentlichkeit vorgeschrieben hatte. Der Anzug
war dunkel, langweilig und streng geschnitten, und Daniel
fühlte sich überhaupt nicht wohl darin. Er wünschte sich oft,
den Mut zu haben, seinem Vater die Stirn zu bieten, so wie
sein Bruder Valentin – andererseits wünschte Daniel sich oft
Dinge, die er nicht hatte. Was der Grund war, daß er immer
wieder in Schwierigkeiten geriet.
Und dann war da noch die Sache mit seiner Schwester.
Stephanie Wolf, das mittlere Kind, kam nach ihrer Mutter.
Sie war groß und schlank und besaß lange Haare, die immer
zerzaust wirkten, ganz egal, was sie mit ihnen anstellte. Ihr
hagerer Körper steckte voller unterdrückter Energie, die immer in den ungeeignetsten Augenblicken auszubrechen drohte. Stephanie war vierundzwanzig Jahre alt und sah gut, aber
langweilig aus, ganz egal, was sie mit Kosmetika auch anstellte. Sie war mager wie ein Junge, und das zu einer Zeit, da
üppige Formen in Mode waren. Stephanie hatte einige Jahre
zuvor auf der Suche nach einem akzeptableren Aussehen alle
kosmetischen Läden des Planeten abgegrast, doch schließlich
hatte ihre angeborene Starrköpfigkeit gesiegt, und sie hatte
sich mit ihrem echten Gesicht und ihrer echten Figur abgefunden. Die Aristokratie setzte Trends, aber sie lief ihnen
nicht hinterher. Niemand wagte, einen Kommentar zu Stephanies Entscheidung oder ihrem Aussehen abzugeben. Erstens,
weil sie eine Wolf war, und zweitens, weil Daniel sie verehrte
und nur zu bereit war, sich bei jeder erkennbaren Beleidigung
seiner Schwester mit dem Übeltäter zu duellieren.
Daniel und Stephanie Wolf. Bruder und Schwester. Aneinandergekettet durch Liebe, Weltanschauung und brennenden
Ehrgeiz. Reich, jung, aristokratisch. Die Welt hätte zu ihren
Füßen liegen können, aber so einfach war das nicht. Sie waren
die jüngeren Geschwister, und sie würden wenig oder gar
nichts erben, solange Valentin lebte. Und da sie pragmatische
und entschlossene Kinder ihrer Zeit waren – nicht zu vergessen, Wolfs bis ins Mark –, intrigierten sie gegen ihren älteren
Bruder und schmiedeten Pläne. Gelegentlich setzten sie ihre
Pläne auch in die Tat um und arrangierten kleine Unfälle für
Valentin. Sie hätten seinen Tod nur zu gerne in Auftrag gegeben, aber so dumm waren sie nun doch wieder nicht. Falls
Valentin einen gewaltsamen oder nur irgendwie verdächtigen
Tod sterben sollte, würde der Imperiale Hof sie als allererste
durch einen Esper verhören lassen. Schuld wäre gleichbedeutend mit augenblicklicher Exekution, ohne Ansehen ihres
Ranges und ihrer Position. Und wenn sie es versuchten und
das Attentat danebenging, dann würde man sie am gesamten
Hof verspotten. Sie wären bei den Familien schlichtweg unten
durch. Also beschränkten sie sich auf das Arrangieren von
Unfällen. Anscheinend zufällige Ereignisse, die Valentin hoffentlich weh taten und ihn vielleicht sogar verkrüppeln würden. Zumindest würden sie ihn inkompetent aussehen lassen.
Und wenn Valentin sich als unfähiger Trottel herausstellte,
dann würde sein Vater ihn in der Erbfolge vielleicht zugunsten Stephanies oder Daniels übergehen. Wenn es jemals jemandem gelang, auch nur einen einzigen dieser Unfälle auf
die beiden Geschwister zurückzuführen, dann würden sie
schwer dafür
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