Der eiserne Tiger
mit der Hand
über einen wunderschönen Weinkrug, der offenbar mühselig
Stück um Stück wieder zusammengefügt worden war, nach
dem feinen Netzwerk von Linien zu urteilen, mit dem er überzogen
war. »Wo ist denn der gefunden worden?«
»Südlich der Stadt am
Fluß in einer Grabstätte. Davon gibt es viele. Sie sollten
unbedingt einige besichtigen. Nicht weit vom Hospital steht noch die
Ruine eines buddhistischen Tempels. Hochinteressant! Die kann ich Ihnen
nur empfehlen. Bei Mondschein ist sie wirklich atemberaubend
schön.«
Er lächelte liebenswürdig.
Janet zögerte. In diesem Augenblick trat Hamid ein und
erlöste sie. »Ach, da sind Sie.«
»Ich dachte, Sie spielen Billard«, meinte sie.
»Nun ja, zumindest eine Abart,
wobei jeder versucht, die Konkurrenz möglichst schnell aus dem
Feld zu schlagen. Ich war Jack und Sher Dil einfach nicht
gewachsen.«
»Mr. Cheung hat mir die
Sammlung des Khans gezeigt. Ich hatte ja keine Ahnung, daß die
Chinesen hier früher einmal so großen Einfluß
hatten.«
»Ich kann mir das beim besten
Willen nicht erklären«, sagte er. »Auch in alten
Zeiten kann doch dieses karge Land nur eine Belastung gewesen
sein.«
Cheung sah auf seine Uhr. »Es
ist schon spät. Ich fürchte, ich muß jetzt gehen. Herr
Major, darf ich Miß Tate in Ihrer Obhut zurücklassen?«
Damit verabschiedete er sich rasch.
Mit einem Seufzer der Erleichterung wandte sie sich Hamid zu. »Er
tut mir wirklich leid. Da haben wir hier gestanden und uns über
den Glanz und die Größe des alten Chinas unterhalten, und er
gehört nicht einmal dem heutigen China an. Es muß
schrecklich sein, im Exil leben zu müssen und nicht mehr in die
Heimat zurückkehren zu dürfen.«
»Das ist eben die Tragödie
des zwanzigsten Jahrhunderts«, sagte Hamid. »Mögen Sie
ihn?«
»Schwer zu sagen. Er gibt sich
die größte Mühe, liebenswürdig und charmant zu
sein, aber ich kann das Gefühl nicht loswerden, daß er nicht
ganz offen ist. Er kommt mir irgendwie zwiespältig vor.«
»Gut gesagt. Und was ist mit Sher Dil?«
»Ein fantastischer Mann. Er ist so herrlich korrekt, so...«
Sie wußte nicht mehr weiter.
Hamid kicherte. »So schön britisch, nicht wahr? Ja, dieser
imperialistische Makel haftet immer noch an uns. Sher Dil war
seinerzeit einer der glänzendsten Absolventen von Sandhurst. Im
Jahre 1945 war er noch Oberst der indischen Armee.«
»Was ist denn da schiefgelaufen?«
»Wir haben jahrelang versucht, in Indien Frieden zu halten.
Nehru war sicher, daß die Neutralität
des Landes von allen anderen Ländern respektiert werden
würde. Aber viele Männer wie Sher Dil, hohe Offiziere, waren
nicht so fest davon überzeugt und haben ihm das auch zu verstehen
gegeben. Als die Armee reduziert wurde, waren sie die ersten, die gehen
mußten.«
»Und so ist Sher Dil hierhergekommen?«
»Um für den Khan eine
Armee von fünfundsiebzig Soldaten zu befehligen, die meisten in
Indien rekrutiert. Die Hiesigen sind nicht gerade versessen auf
Uniformen. «
Er lachte. »Aber eine solche
Nacht ist wie geschaffen für die Liebe und das Lachen - und sonst
nichts. Ich werde Ihnen den herrlichen Park zeigen.«
»Das hat Mr. Cheung schon getan.«
»Ich kann das besser.«
Sie verließen den Raum mit der
faszinierenden Sammlung, gingen auf die Terrasse hinaus und blieben
oben an der Treppe eine Weile stehen, weil Hamid sich eine Zigarre
anzünden wollte.
Der Mond war im dunklen Netz der
Zypressen gefangen, der schwere Duft von Blumen hing in der Luft, ein
Springbrunnen plätscherte fröhlich. Arm in Arm gingen sie die
Treppe hinunter.
»Die Stunde der Turteltaube, so
nennt man das hier.« Mit einer theatralischen Geste schien er
alles auf einmal umfassen zu wollen. »Die Stunde, in der Liebende
einander ihre Herzen öffnen.«
Sie gelangten zu dem Brunnen in der
Mitte des Parks. Sie setzte sich auf die niedrige Einfassung und
tauchte die Hand ins Wasser. Ein unsichtbarer Vogel flötete eine
jubelnde Melodie.
»Es ist, als fände man mitten in der Wildnis einen Garten Eden. Wie macht er das nur?«
»Nun, durch die hohen Mauern
wird der Wind abgehalten. Außerdem beschäftigt er ein ganzes
Heer von Gärtnern. So ist der Boden mühselig urbar gemacht
worden, und alles gedeiht hier nun unter der sorgsamen Pflege.«
Er seufzte tief. »Aber das alles kann in einer einzigen Nacht
zerstört werden. Der Winter schlägt hier
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