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Der eiserne Wald

Der eiserne Wald

Titel: Der eiserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Howard
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Fragte uns, ob wir glaubten, dass man dann an einen besseren Ort käme. Oder an einen schlimmeren.
    Der Junge hätte sich seine Kraft allerdings besser gespart, denn niemand beachtete ihn. Wahrscheinlich waren alle zu sehr damit beschäftigt, darüber nachzugrübeln, wie sie überhaupt hier gelandet waren. Und niemand war stiller als Hina. Sie war völlig in ihrer Trauer versunken und strahlte so viel Schmerz aus, dass es mir richtig an die Nieren ging. Aber Zee hätte sowieso nicht mehr lange gehabt, sagte ich mir. Dafür war ihre Lunge schon viel zu kaputt gewesen.
    Ein Grund, warum ich mich ganz hinten hielt, war der Gedanke, dass Hina vielleicht zu mir kommen würde. Dann könnte ich sie trösten. Mit ihr reden. Aber auch wenn sie langsam ging, schien sie das Tempo doch immer ein bisschen anzuziehen, wenn sie spürte, dass ich dicht hinter ihr war.
    Sie war definitiv wertvoll. Und sie war mehr als nur eine Karte. Sie kannte meinen Vater und vielleicht auch den Ort, an den er verschleppt worden war. Dort in ihrem Kopf befanden sich die Antworten. Ich schwöre, ich hätte meinen letzten Tropfen Wasser dafür hergegeben, zu sehen, was in ihr verborgen war.
    Wir stapften also dahin. Ich hatte Alpha gebeten, nur wenige Waffen mitzunehmen und dafür zu sorgen, dass die Piraten Crow keine gaben, ganz egal, wie oft er eine verlangte. Und so lief Alpha voraus, mit zwei Pistolen im Gürtel und ihrem Gewehr über der Schulter. Sie war die Einzige von uns, die bewaffnet war.
    Ihre hohen Stiefel machten mit dem Matsch kurzen Prozess, und ihr Irokesenschnitt war zu seiner früheren Pracht zurückgekehrt. Mann, sogar diese flauschige Weste fand zur alten Form zurück. Und ich wusste, wenn ich den Gedanken zuließ, würde mich das Verlangen nach ihr überwältigen und sich wie eine klebrige Masse in mir festsetzen. Doch das würde warten müssen. Wie alles andere, was ich wollte, auch. Es würde warten müssen.
    *
    Gegen Mittag hatte Sal die Schnauze voll und ließ sich in den Schlamm fallen. »Ich brauche eine Pause«, murmelte er, als ich die Gruppe einholte.
    »Kannst du ihn nicht tragen?«, fragte ich Crow, der Hina gerade abgesetzt hatte. Er verdrehte die Augen.
    »Ich habe ihn schon den halben Vormittag geschleppt. Trag du ihn doch.«
    Dafür reichte es bei mir nicht, also stieß ich einen Pfiff aus, damit Alpha auf uns wartete. Sie setzte sich auf der Stelle hin, etwa fünfzig Meter vor uns.
    »Wie geht’s deiner Haut?«, fragte ich Crow.
    »Verbrannt und rissig.« Er musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. Offenbar vermisste er inzwischen seine alte, große Sonnenbrille.
    »Willst du Wasser?«
    »Nein. Gib meins der Lady.«
    Ich sah zu Hina hinüber, die im Schlamm kniete und Richtung Osten blickte. Es war heiß hier draußen. Verdammt heiß. Ich meine, eigentlich war doch Winter, und südlich der Vierzig hätte es auch gerne etwas frischer sein können.
    »Hina«, rief ich, aber sie reagierte nicht. »Hast du Durst?«
    »Ich habe Durst«, jammerte Sal. »Aber vor allem bin ich am Verhungern.«
    »Du verhungerst nicht«, erwiderte ich prompt. »Du weißt ja nicht mal, was dieses Wort bedeutet.«
    Entschlossen ging ich zu Hina hinüber.
    »Du solltest etwas trinken.« Ich streckte ihr meine Flasche hin. Ihr unsteter Blick richtete sich auf mich, und einen Moment lang sah sie mich an. Dann nahm sie die Flasche, setzte sie an und trank einen großen Schluck. Anschließend drehte sie den Deckel zu und stellte das Wasser auf den Boden.
    »Danke«, sagte sie.
    »Ich habe die Statue vervollständigt«, begann ich. »So wie mein alter Herr es gewollt hätte.«
    Sie erstarrte.
    »Die Piraten haben gesagt, er hätte dich geliebt«, fuhr ich fort, aber Hina schüttelte den Kopf.
    »Er hat mich verlassen«, erklärte sie. »Ich war ihm nicht genug.«
    »Sie meinten, ihr wärt zusammen nach Vega gegangen.«
    Sie schien etwas sagen zu wollen. Ihre Augen bohrten sich in meine. Aber dann senkte sie den Blick, und sie entzog sich mir wie die Sonne, wenn sie untergeht.
    »Wie konnte er von Harvests Männern wissen?«, bohrte ich nach. »Und davon, wie sie kopiert wurden?«
    Ihr Gesicht blieb reglos, als hätte ich nichts gesagt.
    »Scheiße!« Wütend nahm ich meine Flasche. »Ich verstehe ja, dass du trauerst. Und ich kann dir gar nicht sagen, wie leid es mir tut. Aber wenn du irgendetwas über diesen Ort weißt, zu dem wir unterwegs sind, dann solltest du es mir besser sagen.«
    »Ich versuche, mich zu erinnern«, sagte Hina.

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