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Der eiserne Wald

Der eiserne Wald

Titel: Der eiserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Howard
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und ich nun frei sei.
    Hatte er es mir deshalb nie gesagt?
    Hatte er einfach abgewartet, bis ich alt genug war, um alleine weiterbauen zu können? Um dann loszuziehen und alles zu riskieren, bei dem Versuch, die Sache wieder ins Lot zu bringen?
    »Aufstand«, flüsterte ich.
    »Ja, bis sie ihn dann erwischt haben.«
    Das Foto, auf dem Pa an diesen Baum gekettet war. Die Schmugglerin, die wir beerdigt hatten, nachdem sie zu Tode geprügelt worden war, weil sie Mais verteilt hatte. Sie war unsere letzte Kundin gewesen. Der letzte gemeinsame Job. Bevor Pa uns Hals über Kopf auf die Straße nach Vega gebracht hatte.
    Mein Herz raste, während die Zeit stillzustehen schien.
    »Und jetzt haben sie ihn eingesperrt«, sagte ich.
    »Genau.«
    Ich erinnerte mich daran, wie der alte Rasta den Sonnenaufgang mit seinem Stab begrüßt hatte – es schien in einem anderen Leben passiert zu sein.
    »Und sie werden ihn töten«, stellte ich mit lauter Stimme fest. »Im Frühling?«
    »Schon vorher. Als sie noch experimentiert haben, war es immer im Frühling. Aber jetzt haben sie alles entschlüsselt. Sie sind kurz davor, einen Wald aufs Festland zu bringen.«
    »Die Leute vom Schiff.« Alpha, Crow. »Sie werden sie dafür benutzen, richtig?«
    »Sie und die restlichen, die sie gesammelt haben. Alle mit der richtigen DNA .«
    »Aber die Frau hat gesagt, sie würden schlafen. Sie wären in Sicherheit.«
    »Das tun sie auch. Bis die Fusion eintritt.« Zee zeigte auf das Hauptgebäude hinunter. Irgendwo dort unten war mein alter Herr, weggesperrt. Vielleicht sogar immer noch in Ketten. Kämpfte noch. Und Alpha saß auch irgendwo dort unten fest. Schlief sie? Träumte sie, ihr Baummeister wäre weitergezogen?
    »Wann fangen sie an?«, wollte ich wissen.
    »In zwei Tagen.«
    Ich wandte mich wieder dem Hang zu, den unser Weg hinaufführte.
    »Und wie heißt dieser Ort hier?«
    »Promise Island.«
    Wieder dachte ich an den alten Rasta und seinen mit Borke überzogenen Bauch. Versuchte mich daran zu erinnern, was er gesagt hatte. Und ich dachte an Pa, als ich mich abrupt in den Schnee fallen ließ.
    Hatte er mich nur beschützt?
    Er war gegangen, um etwas in Ordnung zu bringen, das lange sein Geheimnis gewesen war. Etwas, das ich nicht wissen sollte, weil er mich für zu schwach hielt. Aber ich hatte es trotzdem bis hierher geschafft. Auch ohne ihn.
    »Komm.« Zee nahm meine Hand und drückte meine Finger so fest, dass ich es trotz unserer dicken Handschuhe spürte. »Wir sind fast da.«
    *
    Oben auf dem Hügel konnte ich auf die andere Seite hinuntersehen. Hinunter auf die Bäume.
    Reglos stand ich da und starrte auf die kahlen Äste, die sich mir entgegenstreckten. Mein erster Gedanke war, wie blass und zart die Bäume aussahen. Nichts, was ich jemals gebaut hatte, konnte mit dieser Zerbrechlichkeit mithalten.
    Auf dem Weg nach unten hatten meine Füße es plötzlich eilig, und es kam mir vor, als würde ich mich gleich selbst überholen. Als ich den Fuß des bröckeligen Abhangs erreichte, fing es wieder an zu schneien. Einige Meter vor den filigranen Zweigen blieb ich stehen und sah zu, wie sie im Wind tanzten, während die weißen Flocken fielen.
    Ich wagte mich einen Schritt vor. Dann noch ein paar. Dann war ich so nah, dass ich die schlanken Stämme berühren konnte. Die papierfeine Borke. Ich zog meine Handschuhe aus und schob die Ärmel bis zu den Ellbogen hoch. Anschließend streckte ich die Finger aus und ließ sie langsam über das kalte Holz gleiten.
    Die Borke fühlte sich pudrig an, aber darunter war es feucht und glatt. Grünlich weiß, mit schwarzen Knötchen, die aussahen wie Augen. Als ich gegen den Baum drückte, drückte er zurück.
    Noch näher ging ich ran, schlug die Kapuze zurück und presste mein Gesicht an das Holz, atmete seinen Duft ein und schmeckte es mit der Zunge, bis der Schnee auf meinen Lippen schmolz.
    Ich ging von einem Baum zum anderen, immer eine Hand am Holz, als wollte ich sie niemals wieder loslassen.
    Mit dem Stiefelabsatz schob ich den Schnee beiseite, weil ich sehen wollte, wo sich die Bäume in die Erde gruben. Unter dem Eis fand ich Blätter, einige golden, andere gelb, die meisten schwarz. Sie waren durchnässt und verklebt, aber trotzdem griff ich mir einige und pulte sie auseinander, damit sie trocknen konnten. Ich biss in eines davon und stellte fest, dass die feinen Adern schwer zu kauen waren. Dann fiel ich auf die Knie, sank in mich zusammen und weinte.
    Zee hatte sich am Rand des

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