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Der eiserne Wald

Der eiserne Wald

Titel: Der eiserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Howard
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Waldes hingesetzt und beobachtete mich. Als ich mich ausgeheult hatte, schlurfte sie durch den Matsch und die toten Zweige und kniete sich neben mich.
    »Du solltest die Kapuze aufbehalten«, mahnte sie. »Sonst erfrierst du noch.«
    Mein Gesicht war voller Rotz und Tränen, und ich wischte es mit Schnee ab. »Sie sehen ganz anders aus, als ich es mir immer vorgestellt habe«, sagte ich.
    »Ging mir genauso.«
    »Wie lange bist du schon hier?«
    »Ungefähr eine Woche.«
    »Hast du dich schon dran gewöhnt?«
    »Ein wenig.«
    »Daran will ich mich nicht gewöhnen«, protestierte ich. »Niemals.«
    »Aber denk doch mal an den Frühling, wenn die grünen Blätter kommen. An die verschiedenen Jahreszeiten.«
    »Ja.« Jahreszeiten, meine Spezialität.
    Ich starrte in den Wald hinein und entdeckte ungefähr in der Mitte eine Öffnung zwischen den Bäumen. Eine Lichtung. Abrupt stand ich auf und taumelte darauf zu.
    »Hier holen sie sie her«, erklärte Zee und stellte sich hinter mich. »Da stand der eine, auf den sie es besonders abgesehen hatten.«
    »Was für einer war es?«
    »Äpfel. Ein Apfelbaum. Er stand genau hier.«
    Ich rannte auf der Lichtung herum, konnte aber nur Bäume mit schlankem Stamm und dieser schmutzig weißen Borke entdecken, die im Mondlicht wie altes Perlmutt schimmerte.
    »Er ist weg«, sagte Zee. »Sie haben ihn bereits verarbeitet und für die Fusion vorbereitet.«
    »Hast du mal einen Apfel gesehen?«
    »Wir sind hier zu weit nördlich. Die Schöpferin sagt, die Wachstumsperiode sei zu kurz. Vor Jahren haben sie mal versucht, einen Baum aufs Festland zu bringen. Haben ihn in einem Glashaus gehalten. Aber dann hat ein Schwarm sein Nest in den Maisplantagen verlassen und ist übergesiedelt. Die Heuschrecken haben das Glas belagert, bis keine Sonne mehr durchkam, dann haben sie ein Loch geschaffen und sich durchgequetscht.« Zee schauderte. »Aber die neuen Bäume, die sie hier machen, werden die Heuschrecken nicht fressen. In denen können sie nicht einmal nisten, nicht so wie im Mais.«
    »Dann wird GenTech uns in Zukunft also Äpfel verkaufen. Und Bäume.«
    »Und die Leute werden sie kaufen«, sagte Zee achselzuckend. Dann bemerkte sie meinen Gesichtsausdruck. »Was denn? Ich finde das ja auch nicht toll, aber so ist es nun mal.«
    »Warum sollte es dich interessieren? Du stehst ja auf der Gewinnerseite.«
    »Es gab nie irgendwelche Seiten, Banyan. GenTech hat nicht einmal nach Zion gesucht. Sie haben einfach alle mit diesen Geschichten zum Narren gehalten, während sie aufgebaut haben, was sie brauchten.«
    »Gibt es auf dieser Insel noch mehr Bäume? Wächst hier sonst noch irgendwas?«
    Zee zog mir die Kapuze über den Kopf und schob dann ihre so dicht vor meine, dass ich ihren warmen Atem auf dem Gesicht spüren konnte. In ihrer Brust rasselte es.
    »Das hier«, sagte sie langsam, »ist das letzte Gehölz.«
    So war das also. Ein Apfelbaum übrig, und den hatten sie bereits ausgeschlachtet. Willkommen im Reich von GenTech. So kriegten sie uns. Und ich wusste, dass das berühmte Schiff, das groß genug war, eben nur groß genug war für all die Körper, die sie brauchten. Das hier war kaltblütiger Mord in einer gigantischen Größenordnung.
    Mein Vater war also nicht entführt worden. Aber wie viele andere? Wie viele Mütter, Schwestern, Ehemänner und -frauen? Hatten sie nicht alle Menschen, zu denen sie gehörten? Verdienten sie es nicht, dass man sie beschützte?
    Ich löste mich von Zee, legte eine Hand auf einen Ast und kämpfte um mein Gleichgewicht. Nach einem langen Blick in die Zweige über mir schloss ich die Augen.
    Dachte an den angenagten Mann auf der Vierzig, der versucht hatte, seine tote Familie nach Hause zu bringen. An die verlorenen Mienen auf Harvests Sklavenschiff. An die brennenden Körper in Vega, daran, wie Sal in die Flammen geworfen worden war.
    Ich erinnerte mich daran, wie Jawbone leblos auf der Plastikkonsole gelegen hatte, in ihrem eigenen Blut. Daran, wie Hina von dem mörderischen Schwarm verzehrt worden war. Spürte den Hauch des Todes in dem Schlammpferch. Und den toten Rasta in meinen Armen. Haut und Borke, schlaff und knotig.
    So viele Tote.
    So viele Herzen, die zu Stein wurden, so viele gestohlene Tage. Wir waren die letzten Überlebenden, und trotzdem rissen wir uns in Stücke, die niemals wieder zu einem Ganzen zusammengefügt werden konnten.
    Das wird ein Ende haben, schwor ich mir. Es muss jetzt ein Ende haben. Und ich erkannte, dass Pa völlig

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