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Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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mir mal.«
    Er versteht nicht, was mein Problem ist. Natürlich, er kann sich gut vorstellen, dass man ein Meer nach ihm benennt, das Bakewellmeer, aber wenn es nicht dazu kommt?
    Â»Na und. Damit kann ich leben.«
    Wir versenken die Eispickel in den Hosenbeintaschen und schultern jeder den Block, den wir aus dem Grat herausgetrennt haben. Es geht zurück ins Lager.
    Â»Also pass auf«, sage ich zu Bakewell. »Unterbrich mich nicht, dann erklär ich’s dir.«
    Ich beginne ganz von vorn: Wenn es Cook war, der das Haus der Antarktis entdeckte, so war es Ross, der die Tür fand, durch die Scott, Shackleton und Amundsen dann schließlich hineingingen – das Rossmeer. Der Entdecker des Schlüssellochs aber, das war eben jener alte und im übrigen sehr fromme Robbenfänger namens John Balleny.
    An Bord seines Schoners ELIZA SCOTT , erzähle ich Bakewell, schoss Balleny am 1. Februar 1839 mit dem Sextanten die Sonne. Er errechnete, dass er sich 450 Kilometer weiter südlich befand als je ein Mensch vor ihm. Verborgen hinter dem Horizont, bei klarer See zwei Tage entfernt, lag, ohne dass Balleny es ahnte, die Einfahrt in das Meer, das heute nach Ross heißt.
    Packeis und Nebel zwangen die ELIZA SCOTT und die kleine SABRINA , in nordwestlicher Richtung weiterzusegeln. Nach zehn Tagen Fahrt entdeckte Balleny eine Gruppe Vulkaninseln. Der Kommandant der SABRINA ließ sich zu einem der trostlosen Eilande hinüberrudern, um Gesteinsproben zu bergen. Thomas Freeman war der erste Mensch, der jenseits des Polarkreises Boden betrat.
    Ich erzähle Bakewell auch von den zwei Tagen, an denen sich das Schicksal von Vincents Großvater entschied, dem 13. und dem 24. März 1839. Am 13. März verzeichnete Balleny in sein Logbuch: »Heute Morgen kam Kapitän Freeman an Bord, brachte den Schiffsjungen Smith und nahm den Schiffsjungen Juggins mit.« Elf Tage nach diesem nicht weiter begründeten Tausch auf hoher See fuhren die beiden Schiffe unmittelbar nördlich der Polarfront in stürmisches Wetter. Die SABRINA brannte nachts eine Seenotfackel ab. Doch Balleny sah sich außerstande, Freemans Männern zu Hilfe zu eilen. Das blaue Licht blieb das Letzte, was er von seinem Begleitschiff sah. Die SABRINA sank, und mit ihr gingen Kapitän Freeman und der Schiffsjunge mit dem Spitznamen »Juggins« unter.
    Die ELIZA SCOTT segelte nach London zurück, gerade rechtzeitig, damit ein anderer ihre Logbücher abschreiben lassen und mitnehmen konnte auf die eigene Expedition: Ross’ Schiffe EREBUS und TERROR folgten Ballenys Kurs, und ihnen gelang es, in das Meer hineinzufahren, das dem Robbenfänger verborgen geblieben war.
    Â»So!«, sage ich. »Das ist die ganze Geschichte.«
    Bakewell lässt seinen Block vor dem Zelteingang fallen. Matsch spritzt zu allen Seiten, so nass ist der Schnee.
    Â»Pech! Aber immerhin sind sie heil nach Hause gekommen. Und du bist sicher, dass dieser Juggins Vincents Opa war? Wie alt war er denn? Er war doch schon Vater.«
    Laut Heuerliste war Jacob »Juggins« Vincent genauso alt wie ich, als Bakewell und ich uns begegneten, 17 Jahre. Und er stammte aus Birmingham, so wie unser Bootsmann. Ob Balleny wusste, dass sein Schiffsjunge bereits Vater war, oder ob es Juggins selbst wusste, davon steht in den Logbüchern nichts.
    Während es von Tag zu Tag offensichtlicher wird, dass sich unsere Scholle auflöst und wir am Verhungern sind, lese ich Ballenys Bericht mehrere Male, um mir alle wichtigen Einzelheiten einzuprägen. Doch ich frage mich, zu welchem Zweck eigentlich. Aus Vincents Gesicht ist die Glätte ebenso verschwunden wie sein Hochmut. Dieselbe schlaffe, schmutzige Bekümmerung hat sich dort eingegraben wie in alle Gesichter. Was soll ich ihm sagen? Dass ich seine Behauptung überprüft und, tja, in seiner Familiengeschichte nachgelesen habe, wie sein Großvater umkam? Soll ich sagen, es tut mir leid, Vincent, aber die furchtbare Wahrheit ist, dass Juggins nur eines tragischen Zufalls wegen vor 75 Jahren ertrank?
    Müssten wir jetzt nicht in Abfällen nach Fleischresten wühlen, die selbst die Hunde und die Katze verschmäht haben, und müssten wir nicht Tag und Nacht gewahr sein, dass uns die Scholle unter dem Schlaflager zerbricht und wir in ein Meer fallen, über dem sich das Eis wieder schließt, sondern säßen wir stattdessen satt und heiter bei Kognak und

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