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Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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ich. Bakewell sieht genau hin und schüttelt den Kopf.
    Und im selben Augenblick geht es los. Mit dem ersten Satz, vom Pastor noch bedächtig in unsere Richtung gesprochen, ist es mit der Ruhe vorbei. Alles, was er bislang sagte, waren Stüber mit dem Bug. Jetzt kommen die Harpunen.
    Â»33 Tage ist es her, seit am 1. November bei einer Seeschlacht vor dem chilenischen Coronel große Teile der britischen Kriegsflotte versenkt wurden. Das siegreiche deutsche Geschwader unter Admiral Graf Spee erlitt keine nennenswerten Verluste und befand sich, als ich die Inseln verließ, wenige hundert Seekilometer vor den Falklands, um sie in Besitz zu nehmen. Der Windwirbel des Krieges hat das Südmeer erreicht. Und ich sage euch, Antarktiker, es ist dies ein Sturm, wie ihn noch kein Mensch erlebt hat.«
    Keiner von uns ist ruhig sitzen geblieben, alle sind nach vorn geschnellt und schauen einander verdattert an. Murren läuft durch die Bänke, während drüben die Norweger gaffen und oben der Flammenbart ein halbes Glas Wasser kippt.
    Â»Ruhe!« – »Männer!«, rufen kurz nacheinander Creans Bass und die Reibeisenstimme des Bos’n.
    Shackleton dreht sich um und hebt kurz die Hände.
    Â»Heilige Seeschlange!«, sagt neben mir Bakewell. Das beruhigt mich ein bisschen.
    Â»Tausende eurer Landsleute liegen tot in den Wracks auf dem Grund des Meeres vor Coronel. Von keinem Erlöser gebändigt, hat der Sturm sie in die Tiefe gerissen. Gott schläft, scheint es. Nicht einer, der ihn fragt, ob ihn das alles nicht kümmere. Nichts auf der Welt stillt diesen Sturm. Nicht einer, der glaubt, dass dieser Schlafende in der Lage dazu wäre!«
    Â»Komm zum Ende!«, ruft jemand ganz in meiner Nähe.
    Vincent steht auf und dreht sich drohend um.
    Â»Wer war’s?«, flüstere ich Bakewell zu.
    Vincent setzt sich wieder.
    Â»Wir alle fahren auf diesem Schiff mit dem fest schlafenden Jesus darauf, wir alle. Und falls es euch ein Trost ist, so lasst euch gesagt sein, dass es im Herzen Europas nicht Tausende sind, die der Sturm dieses gottlosen Krieges mit sich reißt, sondern dass es allein in der Schlacht um das flämische Ypern Hunderttausende sind, die man dort für ein paar Meter Bodengewinn nur mehr verschrottet. Nein!«, brüllt Gunvald über den Rand der Kanzel gebeugt, »ich muss nicht zum Ende kommen. Ich bin es bereits! Und ihr seid es nicht minder.«
    Â»Abwarten!«
    Dieselbe Stimme. Vincent ist sofort auf den Beinen. Nichts zu machen. Die Walfänger grollen ihr Amen.
    Pastor Gunvald richtet das Wort erneut an sie. Die Langbärte nicken nach jedem Satz, und vorn neben Shackleton senken Jacobsen und die wunderbare Stina den Blick.
    Derweil spielt die Imperial Trans-Antarctic Expedition Stille Post. Holie raunt mir die Botschaft ins Ohr: »Strikte Order vom Chef: keine Zwischenrufe!« Ich beuge mich zu Bakewell.
    Gunvald wechselt ins Englische zurück. Was er seinen Landsleuten soeben ans Herz gelegt habe, sei: sich zu erinnern an König Sverre, der, wie Abt Karl Jonsson es überliefere, sich vor mehr als 700 Jahren mit seinen Mannen, den Birkbeinern, vor dem übermächtigen Feind tief ins Rauntal habe zurückziehen müssen: »Da nahm König Sverre fünf Führer, die den Weg am besten kannten. Und das war bitter nötig, denn das Wetter wurde so schlimm, wie selten geschieht. Und es schneite unermesslich. So dass sie dort verloren 120 Pferde mit goldenen Sätteln und Zäumen, Mäntel und Waffen und viele andere Kostbarkeiten. Acht Tage lang aßen sie Schnee. Aber am Tage vor Allerheiligen wurde der Schneesturm so stark, dass ein Birkbeiner den Tod fand, als der Wind ihn niederwarf und dreifach sein Rückgrat brach. Einzig ihre Schilde blieben den Mannen von König Sverre. Unter ihnen vergruben sie sich im Schnee. Und nur die Schilde der Birkbeiner kehrten aus dem Rauntal heim … So steht es geschrieben in der Geschichte unseres Landes, die seit Tausenden Jahren das Eis kennt und den Tod im Eis. Wir kennen das Eis länger, als wir Gott kennen. Wir haben dem Eis zum Trotz den Weg zu Gott gefunden. Amen!«
    Â»Und aus!«
    Diesmal ist es Greenstreet, der aufspringt: »Wer war das? Sofort aufstehen!«
    Es steht aber keiner auf. Nur Lionel Greenstreet steht dürr in seiner Erstenuniform zwischen den Bänken, und oben auf der Kanzel steht Pastor Gunvald, der keine Miene verzieht,

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