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Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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gerissene Fockmastbaum hinterlassen hat. Wir blicken in einen zertrümmerten Raum, in dem ein grauer Eisbrei schwappt und wo Schollenbrocken Kojen und Spinde zermalmt haben. Dort hinunterzusteigen verbiete ich ihm.
    Er hat ja noch andere Aufträge auszuführen. Für McNeish soll Bakie Latten von bestimmter Dicke mitbringen, die zur Umrüstung der Boote benötigt werden. Kerr fehlen zur Fertigstellung seines Zeltofens Muffen und Schellen. Obwohl er ihre Existenz bezweifelt, hat Green die Kiste Corned-Beef-Dosen geordert, die von einem der letzten Pendlertrupps angeblich an Deck gesichtet worden ist. Und schließlich haben ihre Erbauer den Wunsch geäußert, die antarktische Uhr solle ins Lager gebracht werden. Bakewell will die Holzscheibe besonders für Marston wiederbeschaffen. Unserem Zeichner ist so gut wie nichts von den Dingen, an denen sein Herz hing, geblieben, weshalb er wie ein bärtiges Phantom mit großen glasigen Augen im Lager herumsitzt und jedermann im Weg ist. Die Uhr zu reparieren und zu verschönern, ja, das würde Marston sicherlich aufmuntern.
    Wo er anfangen wolle zu suchen, frage ich Bakewell, und er zuckt mit den Achseln. Doch ich merke, wie mächtig es ihn unter Deck zieht, ins alte Ritz zu Hurley, der dort hämmert und hackt und Hilfe bestimmt gebrauchen kann.
    Â»Ich glaub, ich geh zuerst runter, die Uhr holen. Wer weiß, wie lang das noch möglich ist. Und du?«
    Â»Och«, sage ich mindestens so arglos wie er, »vielleicht schaue ich mal, was von dem Haufen draußen auf dem Eis übrig ist.«
    Â»Du hast es auf die Bibel abgesehen, gib’s zu, du kleiner Royalist!«
    Bakewell bückt sich und lugt über den Rand des Lochs hinunter in das dunkle Quartier. Ich hätte es wissen müssen: Wo einmal meine Bunk war, hat eine Scholle, die es nicht abwarten konnte, ihren Stoßzahn durch die Bordwand gebohrt. Feuchte Kälte steigt herauf. Es riecht wie im Kellergewölbe der St. Woolo’s Kathedrale.
    Â»Ja, die Bibel, warum nicht«, lüge ich. »Und vielleicht hole ich mir auch Shackletons Goldsachen« – die Uhr, das Etui, die Münzen, die mir nun wirklich gestohlen bleiben können.
    Er klettert über den Rand.
    Â»Bakewell! Du gehst da nicht runter!«
    Â»Und ob ich das tue. Der Gang scheint mir nämlich ganz frei zu sein. Und du mach, was du willst! Hauptsache, du lässt dich nicht erwischen. Achte auf Spalte, klar? Nimm einen Eisstock mit. Bis gleich!«
    Er lässt sich hinunter. Das Letzte, was ich von ihm sehe, sind die Finger seiner Fäustlinge, wie sie sich an die überfrorenen Decksplanken klammern. Dann lässt er los.
    Die Bibel der Königinmutter, Shackletons Golduhr und alle die anderen aussortierten Dinge sind nicht mehr da. Die Scholle hat sie in den zehn Tagen, die seit der Evakuierung vergangen sind, längst verschluckt und mit sich fortgetragen. Alle Bilder, alle Souvenirs, verschwunden. Mit leeren Händen gehe ich zurück zum Schiff.
    Ich habe noch etwas anderes zu tun, und endlich hält mich nichts mehr davon ab.
    Um zum Heck zu gelangen, muss ich zunächst vom Wrack hinunter. Den Weg nach achtern versperrt an Deck eine Barriere aus hässlichem, graugrünem Eis. Spanten, Taue, Spieren und allerlei nicht mehr erkennbaren Kram hat der Wall eingeschlossen und mit sich gewälzt. Zweimannhoch türmt sich das Eis am Hauptmast empor, und zuoberst kullert im Schneewind das vom Topp gebrochene, verwaiste Ausguckfass.
    Vorsichtig taste ich mich auf der Scholle nach achtern und gehe um das Heck herum. Es ist in erbarmungswürdigem Zustand. Wo Spriet und Steuer aus dem Rumpf gerissen wurden, klafft eine breite, schiefe Wunde. Sie ist weiß, weil das gesamte Achterschiff mit Eis gefüllt ist, das in alle Richtungen presst. Bugwärts bricht es sich durchs Schiff, seitwärts sprengt es die Bordwand und hier, vor meinen Augen, will es zum Heck wieder hinaus. In eine hässliche zerfetzte Holzwand hat das Eis den prachtvollen Heckspiegel unseres Schiffes verwandelt, und sein Name darauf ist zur Hälfte bereits ausradiert:
    END   NCE
Lo  on
    Ãœber das hintere Backbordfallreep klettere ich hinauf und komme wie erhofft hinter dem Eiswall aufs Achterdeck. Schanzkleid, Spille und Aufbauten sind ebenso verwüstet wie Mittschiff und Bug. Der Kreuzmast in Marshöhe abgeknickt. Baum und Rahen haben das Achterhaus unter sich begraben, das Dach

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