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Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Er prüft die Eisdecke, kontrolliert die Rampen, die wir über die Druckgrate bauen, er versorgt uns mit Getränken und muntert uns auf mit kleinen Geschichten. Sobald ein Schlitten stecken bleibt, ist er zur Stelle und hilft schieben oder schleppen.
    Einmal höre ich, wie er zu Bobby Clark sagt: »Na komm, mein guter alter Junge, das schaffst du. Zehn Minuten noch, dann kommt Frankies Schlitten vorbei und nimmt dich mit. Ich habe ihm genug Kekse für alle gegeben. Komm, ich fass mit an, und wir ziehen das letzte kleine Stück gemeinsam. Oder du gehst voraus und prüfst die Scholle!« Er legt ihm den Arm um die Schultern. »Guter Vorschlag, Bobbybob?«
    Die Robertson-Insel liegt nordwestlich von uns vor der Küste der Antarktischen Halbinsel. Shackletons und Wilds Plan sieht vor, dass wir uns zu Fuß in diese Richtung durchschlagen, solange das Eis trägt. Noch ist die Scholle, über die wir hinkriechen, drei bis sieben Meter dick. Schreitet der Sommer voran und bricht das Eis, sollen wir in die Boote wechseln und die verbleibende Strecke durch das Treibeis rudern. Und haben wir die Insel erreicht, soll ein kleiner Trupp auf die Halbinsel übersetzen und dort über das Gebirge marschieren bis zu den Buchten im Westen, wo im Sommer zahlreiche Walfänger jagen. Während der Rest von uns eine Hütte baut und ausharrt, bis die Retter geholt sind.
    Ein kühner und eleganter, ein shackletonscher Plan. Der einen winzigen Haken hat.
    Die Robertson-Insel liegt 350 Kilometer entfernt. Unser Tross aber hat nach drei Tagen erst ganze anderthalb Kilometer hinter sich gebracht. Die Scholle, über die wir hinkriechen, driftet nicht nach Nordwesten, sondern nach Nordosten, sie nimmt uns also kein Stück der Wegstrecke ab. Wieder ist es das Wetter, was uns einen Strich durch die Rechnung macht: Mit drei Grad unter null ist es viel zu warm für die Jahreszeit. Es schneit in einem fort, und der Neuschnee legt sich nass und pappig Schicht um Schicht auf das Alteis. Beim Versuch, darüber zu traben, versinken die Hunde bis zum Bauch. Der Sir auf seinen Skiern verschwindet bis zu den Knien. Und wir, vor unsere zwei Riesennussschalen gespannt, schleppen uns, bis zum Nabel eingesunken, zentimeterweise voran.
    Am 1. November, Tag 281 im Eis und eine knappe Woche nach Aufgeben des Schiffes, erklärt Shackleton auch den Plan, aus eigener Kraft die Robertson-Insel zu erreichen, für nicht durchführbar. Wir nehmen es gelassen auf. Zumal Shackleton keinen Grund zu verzagen sieht: Ab sofort ist die Paulet-Insel an der Nordspitze der Halbinsel unser Ziel, jenes kleine Eiland, auf das sich vor zwölf Jahren schon Nordenskjölds ANTARCTIC -Expedition hat retten können und wo die Männer damals das Gaffeltopp von Biscoes LIVELY fanden. In der Hütte, die die Schweden auf der Insel errichteten, sei eine ausreichende Menge Notproviant eingelagert, verkündet der Sir enthusiastisch, dafür lege er die Hand ins Feuer. Schließlich habe er selbst geholfen, die Paulet-Hütte im Zuge von Nordenskjölds Rettung zu einer Notbasis auszubauen.
    So müde und enttäuscht, so hin und her gerissen zwischen Hoffen und Bangen, wie sie sind, äußern die Ersten offen Zweifel. McNeish der Zimmermann, Stevenson der Heizer, Green der Koch und noch ein paar andere, die ihrem Ärger endlich Luft machen wollen, glauben ihm nicht mehr.
    Shackleton lässt es dabei bewenden. Er berät sich mit Worsley, Wild und Crean, und nach einer Weile holt Greenstreet mich zu dem kleinen Kreis dazu, der sich an einem der Bootsschlitten in den Windschatten zurückgezogen hat.
    Ich soll den Versammelten bestätigen, dass Shackleton 1903 einer der Retter der Männer von der ANTARCTIC war.
    Â»Ja«, sage ich und sehe Shackleton fest in die Augen, »so habe ich es gelesen.«
    Hurrarufe sind nicht zu hören, als das Kommando ergeht, Boote und Schlitten zu entladen und ein festes Lager zu errichten. Als es aufhört zu schneien, sehe auch ich am südlichen Horizont Spieren und ein krummes schwarzes Rohr über das Eis ragen – klägliche Überbleibsel von Masten und Schornstein unserer ENDURANCE . Drei Tage lang haben wir uns unserer Rettung entgegengeschleppt und müssen nun doch aus der Ferne mit ansehen, wie das Schiff Stück für Stück vom Eis zerdrückt wird. Shackleton lässt darüber abstimmen, welchen Namen unser neues Zuhause erhalten soll:

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