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Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Bakie mich herum, und in seinen Augen brennt die Puppe. Aber wie ich sie da hängen sehe, während ich um sie herumfliege, bestürmen mich ganz andere Gedanken: Plötzlich weiß ich, dass der wirkliche Grund für den Turm nicht die im Eis lauernden Gefahren sind. Denn wenn nicht gerade Guy Fawkes verbrannt wird, steht Shackleton wie zuvor im Fass unseres Schiffes lange Stunden oben auf der kleinen Plattform über dem Eis. Und immer blickt er nach Süden, dorthin, wo das Wrack liegt.
    Ich denke zurück an vergangene 5. November. Guy Fawkes! Das war der Mann, der vor 300 Jahren das englische Parlament samt König Jakob I. in die Luft sprengen wollte. So hat es mir mein Dad erklärt. Nach Emyr Blackboros Meinung kann Guy Fawkes nur einen Grund für seinen Schießpulveranschlag gehabt haben: Er war Waliser. Am Guy-Fawkes-Tag sitzt man an der Familientafel beieinander, geht zum Volksfest und macht einen Spaziergang ins Grüne, auch wenn es am Guy-Fawkes-Tag in ganz Wales wie aus Kübeln regnet. Der alte walisische Regen sorgt dafür, dass die wenigsten Guy-Fawkes-Puppen verbrennen, so kann man sie im kommenden Jahr wieder verwenden. Ich erinnere mich an keinen sonnigen Guy-Fawkes-Tag, der heutige ist mein erster. Es wird sogar Sommer! Für Mom ist Guy Fawkes der Beginn der Winterzeit, alles Obst ist eingekocht und jede Rechnung beglichen, oder etwas stimmt nicht in Gwens Kasse. Bakewell, dem ich all das erzähle, schnappt nach Luft. Einem Amerikaner sagt unser Puppenfeiertag nichts, er hält ihn für eine weitere Marotte spleeniger Inselmonarchisten. Immerhin, etwas verbindet auch er mit dem Datum: Am 5. November vor einem Jahr haben wir mit der ENDURANCE Grytviken erreicht.
    Â»Wo war denn da eure Puppe, hm? Habt doch nicht etwa den Guy-Forks-Tag vergessen?«
    Offenbar doch. Und ich glaube, ich weiß auch, weshalb: Seinerzeit haben wir nur an die fremden Küsten gedacht, Küsten, die auf uns zu warten schienen. Heute dagegen sind wir auf dem Weg nach Haus. Bloß kann ich das Bakewell nicht erklären. Denn er weiß ja gar nicht, was das ist, ein Zuhause.
    Ich aber weiß es nur allzu gut! Zum ersten Mal seit langer Zeit hänge ich traurigen Gedanken an meine Familie nach, als Bakie und ich am frühen Abend von Guy Fawkes aufbrechen, um uns von Hurleys Schlitten zum Wrack mitnehmen zu lassen.
    Doch zum Glück werde ich schon bald abgelenkt. Die Fahrt über die Scholle verlangt höchste Konzentration. Immer wieder müssen wir absteigen und einen verdächtigen Schneestreifen untersuchen. Und nicht nur einmal stellt sich heraus, dass ein mit lockerem Schnee angefüllter Spalt nur auf uns gewartet hat. Wir umfahren diese Fallen in weitem Bogen, und nach mehreren Stunden erreichen wir endlich das Wrack. Nur noch die Hunde abschirren und festpflocken. Dann stehen wir vor dem leise ächzenden Trümmerfeld, das einmal unser Schiff war.
    Hurley hat nur seine Fotonegative im Sinn. Und er weiß genau, wo er die verlöteten und abgedichteten Blechkanister, in denen sie sich befinden, suchen muss, in den »Stallungen« nämlich, der alten Offiziersmesse zwischen Mittschiff und Bug. Leider ist das gesamte Zwischendeck nicht mehr dort, wo es mal war. Teile der Galleywände ragen über die zerdrückte Back hinaus in den freien Himmel, ein paar nackte Kojen liegen heckwärts auf dem Eis, und die Treppe, die unter Deck führte, führt nirgends mehr hin. Aufrecht steht sie zwischen den zerquetschten Zwingern, und nur das Eis klettert ohne Eile darauf empor.
    Â»Okay«, sagt Hurley, »ich gehe es an. Mal sehen, was sich machen lässt.« Ein Griff, ein Tritt, und er hat das Schanzkleid erklommen. Die Bordwand der ENDURANCE ist kaum noch höher als die unseres Dingis.
    Â»Viel Glück!«, rufen wir ihm nach, und Hurley winkt, bevor er die Brille über die Augen zieht und zum ersten Pickelschlag ausholt.
    Bakewell hatte sich vorgenommen, ein paar warme Klamotten zu bergen. Der Zustand der Mannschaftsquartiere lässt ihn schnell davon Abstand nehmen. Als wir selber auf dem Hauptdeck stehen, hat zwar Hurley schon einen Weg nach unten gefunden. Und wir hören, wie er auf dem Weg zur Offiziersmesse im Ritz und Mittelgang alles kurz und klein haut. Doch an ein Vordringen in die Matrosenkajüten ist nicht zu denken. Fassungslos stehen wir am Rand eines Kraters, den der verschwundene, offenbar vom Eis in die Tiefe

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