Der eiskalte Himmel - Roman
zum Rossmeer und damit den einzig möglichen Zugang zum Pol entdeckte? Oder hast du gelogen, mein Bosân? Ich setze mich auf die Futterkiste bei den Hunglus und lese weiter, bis mich Doktor Macklin auch von dort vertreibt.
»Buch gerettet, Merce? Entschuldige, aber die Würmer haben Kohldampf.«
Macks Gespann ist als Einziges übrig geblieben. Nachdem wir auch das Lager auf See abgebrochen haben und 15 Kilometer weiter nordwestlich über die Scholle gezogen sind, hat Wild an einem einzigen Nachmittag erst seine und dann auch Creans, Marstons und McIlroys Hunde erschossen. Und als Hurleys verbliebene sieben schlieÃlich auch die letzten Dinge für uns aus dem Lager auf See in das neue »Lager der Geduld« geschleppt hatten, musste Wild sie ebenso hinter den Eishügel führen, 35 Hunde, für die kein Futter mehr da war und die nun uns als Futter dienen. Mager, zottelig und verfilzt sehen mich Macklins sechs Köter mit ihren groÃen fragenden Augen an.
Vincent kommt aus dem Zelt. Gesättigt von einer Phantompastete, schleppt er seinen Wanst voller Wind zu unserer kleinen Bootswerft hinüber. Dort ist sein Freund und väterlicher Tröster Chippy McNeish mit der Pfeife im Mundwinkel dabei, das Dingi zu kalfatern. Und dort lehnt sein Handlanger und Prügelknabe Stevenson an der aufgebockten DUDLEY DOCKER und schwingt seine Reden, denen nur der spindeldürre Schiffstiger zuhört. Mrs. Chippy aber kann es gleichgültig sein, wer sich groÃtut vor ihr, solange er nur einen Happen Robbe für sie hat. Ich warte, bis Vincent unter seinesgleichen ist, dann schlendere ich zurück zum Zelt und mache es John Balleny und mir bequem auf meiner Schmelzwassermatte.
Bakewell: »Kennt jemand von euch Donuts?«
Hussey: »Klar! Wo denkst du hin!«
Bakewell: »Sind ganz einfach zu machen. Ich mag sie am liebsten kalt und mit Erdbeermarmelade bestrichen.«
Wordie: »Erdbeermarmelade, nee, dazu hätte ich gern ein Omelett.«
Es ist ein gewöhnlicher Morgen im Lager der Geduld, dieser Morgen, an dem ich zum ersten Mal den Namen von Ballenys Schiffsjungen lese: Er hieà nicht Vincent, sondern, ausgerechnet, Smith, was aber noch nichts heiÃen will.
Doch es ist auch der Morgen, an dem für uns alle die Zeit stehen bleibt. An diesem 21. November 1915, dem 301. Tag, seit uns das Packeis vor Antarktikas Küste einschloss, sinkt die ENDURANCE .
Der Sommer ist zurück. Die Wärme lässt das Eis schmelzen, und wo seine dünn und dünner geriebenen Schollen zerbrechen, kommt lakritzschwarz das Wasser zum Vorschein. Seit Wochen hat Shackleton dem Moment entgegengefiebert, in dem die Eiszangen aufgehen und die Klammer, die unser Schiff zerdrückt hat, das Wrack loslässt. Als es so weit ist, steht er allein auf dem Turm, und sein gellender Ruf ist zugleich Klageschrei und Kommando, wir sollen alles stehen und liegen lassen, aus den Zelten kommen und nach Süden schauen.
»Sie sinkt! Sie sinkt!«
Also wieder hinaus. Ja, da ist sie noch. Hat das Heck aus dem Eis gehoben. Bug und Mittelschiff aber sind schon ganz unter Wasser und warten darauf, in die Tiefe fahren zu dürfen.
»Seht sie euch an.«
»Sie sinkt«, kommt es noch einmal von oben, und diesmal klingt es zufrieden, so wie am Totenbett einer sagt: »Gleich hat sieâs geschafft.«
Sir Ernest kommt die Leiter herab und stellt sich in unsere Mitte.
»Betet für sie«, sagt Alf Cheetham. »Sie hat uns beschützt wie eine Mutter, sie war ein gutes Schiff.«
»Ein gutes Schiff«, stimmt der Zimmermann ein, »weià Gott, das war sie und das bleibt sie!«
Und wir lassen sie hochleben: »Hipp, hipp, hurra! Hipp, hipp, hurra!«
Das Heck in die Höhe gereckt, hält sie lange inne, so als wolle sie uns Gelegenheit geben, dieses letzte Bild von ihr auszukosten und für immer in Erinnerung zu behalten.
»Halt aus!«, möchte man ihr zurufen, denn sie ist am Ertrinken.
Ein Wimpernschlag, und weg ist sie, wie ein Kind auf der Rutsche in die Tiefe gesaust. Ein Aufschrei läuft durch unsere Reihen, während dort drüben, kilometerweit weg zwischen den Graten, nichts mehr ist und während ich nicht anders kann, als mir das Wrack vorzustellen, das unter uns in die schwarze Tiefe gleitet.
Machâs gut, ENDURANCE .
Brasst rund die Rahen!
So haben wir also uns aufs Eis gerettet und haben alles, was wir zum
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