Der Eisplanet
einer Kolonie auf dem äußersten Planeten des Solsystems gebracht, doch diese Leistung war vielleicht bedeutender als die Taten Alexander des Großen, Julius Cäsars und Napoleons, denn sie hatte drei Jahrtausende überdauert.
Talbots Mißtrauen gegen die Wissenschaft – die, wie er meinte, den Untergang des menschlichen Lebens auf zwei Planeten verschuldet hatte – konnte man nur noch als pathologisch bezeichnen. Wäre alles nach seinem Willen verlaufen, hätte er jede weitere wissenschaftliche Forschung restlos verboten. Aber für diesen Zweck reichte seine Macht nicht aus. Unter den Männern und Frauen, die er vom Mars gerettet hatte, befanden sich zahlreiche erstrangige Wissenschaftler, die jeden Mißbrauch der Wissenschaft durchaus fürchteten und verabscheuten, deren Grundhaltung aber rationaler war als Talbots. So kam es unvermeidlich zu Konflikten.
Die erste entscheidende Auseinandersetzung betraf die Errichtung einer Stadt auf Minervas Oberfläche. Eine Anzahl von Technikern, Physikern und Psychologen vertrat die Auffassung, daß es nicht zwangsläufig erforderlich sei, sich unterirdisch zu etablieren und eine Untergrundexistenz die Entwicklung eines Sozialgefüges nachteilig beeinflussen könne. Sie entwarfen Pläne für Kuppelstädte, die sich mit einem Bruchteil des für unterirdische Anlagen nötigen Aufwands errichten lassen sollten. Garfield Talbot verwarf den Bau von Oberflächensiedlungen mit den gleichen Argumenten, mit denen er die Landung auf Minerva durchgesetzt hatte. Er wollte Aktivitäten und Gewohnheiten der Siedler auf ein Minimum beschränken und betrachtete ein Leben unter der Oberfläche als Grundlage der allgemeinen Kasteiung und Buße, denen sich der Rest der Menschheit unterziehen müsse, als eine Art von freiwilliger Läuterung, deren Ende nur durch Überwindung der aggressiven Instinkte, die die Kulturen auf Erde und Mars ausgelöscht hatten, zu erreichen sei. Dennoch fanden sich immer mehr Befürworter der Oberflächenbesiedlung. Talbot mußte schließlich gestatten, daß sie sich an die Verwirklichung ihrer Pläne machten, aber er erhob eine Auflage – sie durften genug Ausrüstungen und Verpflegung für ein halbes M-Jahr mitnehmen, würden sich nach dessen Ablauf jedoch allein versorgen müssen.
Die Entscheidung schien gerecht. Allerdings ahnte Talbot, daß das Projekt ohne energische Leitung zum Scheitern verdammt war. Und er behielt recht. Minervas Oberfläche war kein Ort, um technische Vorhaben auf dem Umweg über Diskussionen und Abstimmungen auszuführen. Bevor die erste Kuppel über die lebenswichtigen hydroponischen Installationen verfügte, wurde die Versorgungslage der Oberflächensiedler kritisch. Per Funk forderten sie von Talbot City, damals die einzige Untergrundsiedlung, mehr Sauerstoff, mehr Nahrung und weitere Gerätschaften an. Garfield Talbot verweigerte alles, indem er auf die getroffene Vereinbarung verwies. Die Situation der Oberflächensiedler wurde verzweifelt. Es kam zu zahlreichen Todesfällen, hauptsächlich aus Sauerstoffmangel. Endlich unterbreiteten sie das Angebot, das Projekt endgültig einzustellen, wenn sie in die unterirdischen Zufluchtsstätten zurückkehren dürften. Talbot verweigerte auch das. Er wandte ein, wer eine Abmachung breche, halte auch eine zweite nicht.
Zuletzt unternahmen die überlebenden Oberflächensiedler einen verzweifelten Versuch, sich den Weg in die Gewölbe zu erzwingen. Talbot City besaß derzeitig vier Luftschleusen. Garfield Talbot ließ sie durch seine vertrauenswürdigsten Anhänger, die er mit Lasergewehren bewaffnete, ständig bewachen. Als die verbliebenen Oberflächensiedler eine der Schleusen gewaltsam zu öffnen versuchten, gelangten Talbots Männer durch eine andere Schleuse in ihren Rücken und töteten sie alle.
Während Idris Talbots Bekenntnisse las, fand er sich von der enormen Komplexität der Psyche des Verfassers fasziniert. Es war ein Dokument nahezu verblüffender Aufrichtigkeit und Selbstenthüllung. Garfield Talbot war ein Mann gewesen, der einen rebellischen Raumschiffskapitän ohne Zögern vernichten und widerspenstige Siedler erbarmungslos töten ließ, aber auch ein Mann, der sich gerne auf halbe Ration setzte, wenn eine Fehlentwicklung in der Versorgung es verlangte, damit Kinder und Schwangere genug Nahrung erhielten.
Ohne ihn, soviel wurde Idris klar, hätte die Kolonie auf Minerva niemals überlebt. Aber im Verlauf der Jahrhunderte waren seine Maßstäbe und seine Philosophie zu
Weitere Kostenlose Bücher