Der Eisvogel - Roman
ist ein alter Mann, sagte Manuela, ist das nicht ... – Jemand hat sein Wort gebrochen! Wir ziehen das jetzt durch! unterbrach Mauritz sie schroff. Der Kerl verdient eine Abreibung! Außerdem ist es Wiggos Probe. Halt dich da raus, Manuela, und komme mir nicht auf die sentimentale Tour. Wenn du zu weich bist, frag nicht mehr. Du hältst die Verbindungen, ich leite den operativen Teil, und das ist nun einmal ein hartes Geschäft. Hast du vergessen, was wir uns geschworen haben, damals? – DieZeiten ändern sich und die Menschen auch, und Vater und Mutter sind schon so lange tot ... Mauritz, wir waren halbe Kinder! – Hast du unseren Schwur vergessen? fragte Mauritz mit schneidender Stimme. – Nein ... Habe ich nicht. Ich habe ihn nicht vergessen. Nein. Vielleicht hast du recht. Seid vorsichtig ... Manuela stand auf und küßte ihren Bruder auf die Stirn und kam zu mir und küßte mich auf die Stirn, Lady Knize, Rose, Jasmin, Tuberose, mein irrlichterndes Herz, die Angst in ihren Augen, und ich dachte: Ich könnte alles für dich tun, für euch beide
[ JOST F. {...}] ein eigenwilliger und sonderbarer Mensch, das war mein Eindruck von ihm, als ich ihn kennenlernte. Mancher würde hier wohl das Wort wertvoll verwenden, aber ich mag es nicht, nicht im Zusammenhang mit Menschen. Mir gefällt die Suggestion nicht, die es enthält, das Elitäre, Wettbewerbshafte – ist der eine Mensch wertvoller als der andere? Dieser Mauritz, an den sich Wiggo immer enger anschloß, würde das ohne zu zögern bejahen, da bin ich mir ziemlich sicher. Der Wiggo, den ich kannte, war ein faszinierender Mensch, aber er war auch ein schwieriger Mensch. Er war schwierig, weil er unglücklich war, denke ich, weil andere es ihm schwermachten und er es sich deshalb schwermachte. So kam eines zum andern, so ist es vielleicht immer. Er tat mir leid. Er ist ein Aristokrat, aber ein mißbrauchter. Keine traurigere Figur als ein Ritter, der unter die Beamten gerät, sagte Dorothea einmal über ihn. Ich hatte mir vorgenommen, ihm irgendwie beizustehen, so gut mir das möglich war und so gut er es mir erlauben würde
[ PATRICK G. {...}] ziemlich merkwürdiger Typ, dieser Mauritz. Wiggo hatte ihn angeschleppt, und da stand er aufDorotheas Party herum, das Weinglas in der Hand, und beobachtete die Leute – uns im allgemeinen und Wiggo im besonderen. Blaue Augen, blondes Haar, kurzgeschoren. Fallschirmjäger. Bin schon bei genug Castings dabeigewesen, um dafür ein Auge zu haben. Wir haben ja alle unsere kleinen zivilisatorischen Andenken, Herr Verteidiger, Bauchansatz, doch, doch, die eine oder andere Plombe im Mund, hier und da gelichtetes Haar, Reifezeichen um die Augen, die Frauen Orangenhaut und beim Test mit dem Bleistift, den sie unter die Brüste legen, mag er ab dreißig nicht mehr runterfallen – aber der hatte nichts davon, da möchte ich wetten; und das war schon fast wieder unheimlich. Der war fit, der war durchtrainiert, der würde jeden von uns binnen Sekunden fertigmachen können, das sah man ihm an. Ich weiß nicht, warum, aber man kriegt ein Feeling für so was in meiner Branche. Man lernt ziemlich gut, echt von unecht zu unterscheiden, und der Typ war echt, der konnte beinhart sein. Die Mädels waren fasziniert, aber sie trauten sich nicht an ihn ran. Der Bursche wirkte kalt wie ein Eiszapfen, lehnte an der Wand, starrte einem nach dem anderen ins Gesicht, knipste fremde Schamröte an, wie er wollte, und kriegte es dadurch fertig, daß sich keiner außer Wiggo mehr getraute, auch nur einen Mucks zu sagen. Na ja, ich getraute mich auch schon noch, große Gatsbys und coole Eastwoods laufen bei mir im Sender schließlich genug herum, wenn Sie sich da immerzu beeindrucken lassen würden, kämen Sie nie zum Mittagessen. Er scannte mich in seinen Röntgenblick, und ich kroch ein bißchen in mich zusammen von wegen der peinlichen Situation und so und dachte, gleich fragt er dich, was die Gespenster deiner Kindheit waren oder wie ich zur Todesstrafe stehe oder zur Folter im Rahmen von Geheimdienstarbeit, Fragen, die sonst nur Wiggo draufhatund die das Betriebsklima auf einer Party regelmäßig heben. Und Bingo. Wovor hast du Angst? fragte er mich plötzlich mit einer Stimme, die knarrte wie eine Tür. Es wurde still, und ich schlug vor: Sinkende Quoten? Ich bin beim Fernsehen. Mauritz kniff die Augen zusammen und fing an, auf und ab zu gehen wie ein Dozent, der einer Seminargruppe das heutige Thema nahebringen will. Wovor man Angst hat,
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