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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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sein, aber niemals würden sie, glaube ich, Ungeduld zeigen. Außerdem war er in Vaters Bank beschäftigt, und wenn Vater auch nicht der Personalchef war, ein scharfes Auge hat er für Menschen immer gehabt. Ein Versager hätte sich nicht lange hier gehalten, dachte ich, machte das Kreuz im vierten Kreis und unterschrieb. Sein Lächeln wurde sofort wieder gewinnend. Er verabschiedete mich höflich, geleitete mich sogar persönlich bis vor die Tür. Die Kurse wiesen himmelwärts, die jungen Leute auf den Plakaten lachten. Ich hatte Vertrauen. Der Kerl mochte eitel sein; aber er war ganz bestimmt nicht dumm. Achtzehntausend Mark. Soviel mochte Vater in einer Woche verdienen. Achtzehntausend Mark, sicher angelegt für kommende schlechte Zeiten, ein hart erarbeitetes Polster Sicherheit
    – sag mal, stört es dich gar nicht, was dieser Hertwig mit dir gemacht hat? – Natürlich, aber was soll ich tun? – Na, was schon, Wiggo. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Die Schwätzer heutzutage heben die Hände und wimmern Neinneinnein, das darf man nicht, das ist alttestamentarisch; ich sage: Na und? Es ist das einzige, was funktioniert. Überleg’s dir. Ich bin dabei, falls du zum Schluß kommst, daß ich recht haben könnte. Nach zwei Tagen ging ich zu Mauritz und fragte: Was schlägst du vor? Er stand am Fenster, rauchte, gab nicht zu erkennen, ob er überrascht war, kein Zeichen von Triumph oder billiger Rechthaberei, Stolz auf psychologische Kenntnisse oder ähnliches. Einfaches Akzeptieren meiner Frage und damit einer Reihe von Überlegungen, die ich ihm nicht mitteilte, kein Für und Wider erzählte ich ihm
    – du hast unsere Organisation noch kaum kennengelernt. Edgar, Frenss, Hildegard, der Bischof. Mein Onkel, natürlich, er ist auch dabei. Und noch andere interessante Menschen. Willst du dazugehören? – Das fragst du. – Dann mußt du etwas dafür tun. – Geld habe ich keins. Und Gehorsam fällt mir schwer. – Du hast es nicht immer im Gefühl, wann ich zu Scherzen aufgelegt bin und wann nicht. Man muß sich würdig erweisen, um in eine Gemeinschaft wie die unsrige aufgenommen zu werden. – Was verlangst du? – Deine Initiation. Tu etwas für uns, zeig, daß du über deinen Schatten springen kannst. Beweise, daß du Mut hast und in der Lage bist, dich in Gefahr zu begeben, für andere. Für uns. – Meine Güte, Initiation, wie das klingt, Mauritz, ich, – Wie Zeitverschwendung? Er wandte sich abrupt um. Dann laß es bleiben, Wiggo. Er rauchte, die linke Hand in der Hosentasche, schnippte Asche in einen Aschenbecher, der auf dem Fensterbrett stand, und sagte: Weißt du, was eine Heimsuchung ist? Nicht das Wort im übertragenen Sinn, sondern im konkreten.Mittelhochdeutsch heimsuochunge, Heim und suchen, im Hause aufsuchen. Erschrick ihn ein wenig zuhause, bei sich in der Wohnung. – Hertwig? – Das wird er niemals vergessen, und du wirst den Triumph haben, eine Laus gesehen zu haben, die sich vor Angst in die Hose macht. Er drückte die Zigarette aus, blies den Rauch langsam, in einem dünnen Strahl, durch den gespitzten Mund. Ich gebe zu, daß mir diese Vorstellung Vergnügen bereitete. Ein wildes Vergnügen sogar. Hertwig hatte mich entlassen, er war schuld an meiner Misere, er verhinderte, daß ich wieder Fuß faßte im Beruf, und das würde bedeuten: im Leben. Er ließ mich nicht leben, er, er. Und die anderen Hertwigs alle. Ich stand im Zimmer und malte mir aus, was geschehen würde. Ich zögerte zu lange, um nein zu sagen, und meine Einwände kamen nicht entschieden genug, um überzeugend zu wirken; außerdem waren sie nicht moralischer Natur, sondern sachlicher. Was machen wir, wenn er mich erkennt? Wenn wir erwischt werden, Mauritz, wenn etwas schiefläuft? – Es ist alles eine Frage der Vorbereitung, der Recherche. Mauritz zündete sich eine neue Zigarette an. Die Feuerzeugflamme lag völlig ruhig in der Luft. Ich war seiner Idee schon verfallen, und er wußte es. Er stand am Fenster, blickte nach draußen, rauchte, entwickelte mir den Plan, schlug für zu erwartende Hindernisse oder Schwierigkeiten Varianten vor, alles in kühlem, sachlichem Ton, als erörterten wir ein Tischtennisspiel oder eine Schacheröffnung. Mein Haß spülte alle Gewissensbisse weg. Ich wollte mich für die Schmähungen und das entwürdigende Leben, das ich jetzt zu führen gezwungen war, auf eine Weise rächen, die mir die Selbstachtung wiedergeben konnte, auch wenn es nur Befriedigung eines dubiosen Rachegelüsts war und man

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