Der Eisvogel - Roman

erfuhr, der ihn mittwochs beschattete, wenn er in der Patentanwaltspraxis nur vormittags arbeitete und Hertwig nachmittags zu seinem Arzt und danach zum Apotheker folgte. Wir spähten seine Gewohnheiten aus, welche Straßenbahnen er benutzte, wer ihn besuchte – niemand –, ob er Verwandte hatte – offensichtlich nicht –, zu welchen Zeiten er die Universität verließ, die Wohnung, wann er zurückkehrte und mit wem. Er kehrte nie mit jemandem zurück. Denn Stofftiere sind keine Lebewesen. Aber Hertwig hätte dagegen wohl Widerspruch eingelegt, so wie er die Stofftiere behandelte, die er in unregelmäßigen, aber immer kurzen Abständen mitbrachte. An einem dieser Tage, an dem ich, verborgen in der schlendernden, von Angebotsausrufen umspülten Menge, Hertwig in der Spielwarenabteilung eines Kaufhauses beobachtete, sah ich, daß er, mein ehemaliger Lehrer, der berühmte Philosophieprofessor, den die Universität über die Pensionsgrenze hinaus beschäftigte, ein Dieb war
    – sein Verhalten war das eines gutgetarnten Tiers, das dennoch seiner Tarnung nicht ganz traut und sich äußerst vorsichtig in der fremden, von lauernden Blicken durchwanderten Umgebung bewegt. Er sah zu den Verkäufern, die mitnörgelnden Kindern und deren Müttern beschäftigt waren. In der Mitte der Spielwarenabteilung war eine Legoburg aufgebaut, daneben ein paar Hüpfkissen; ein überdimensionaler Frosch bewegte zur Muzakberieselung die Arme auf und ab und verzog sein Gesicht zu einem schwachsinnigen Lächeln, lenkte aber damit die Kinder ab, die neben der Legoburg standen oder vom Hüpfen auf den Kissen genug hatten. Hertwig pirschte sich langsam vor. Er griff sich einige Plüschteddys, musterte sie mit gespitzten Lippen und hocherhobenen Brauen, drehte und wendete sie, legte sie schließlich ins Regal zurück. Ein rosaroter Elefant mit schwarzen Punkten schien ihm besser zu gefallen, umständlich nahm er die Brille von der Nase, zog aus einem Futteral seine schmale, goldgerahmte Lesebrille, die in den Vorlesungen immer weit vorn auf seiner spitzen Nase saß, einer Libelle mit blinkenden Flügeln ähnlich, die im Rhythmus der Stimmhebungen und -senkungen gemächlich auf und ab schaukelte. Er hielt sie nach oben, kramte ein Taschentuch hervor, um die Gläser zu putzen. Der Elefant fiel herunter, rutschte etwas beiseite. Hertwig beugte sich kopfschüttelnd, ging ins Knie und mochte in diesem Moment außerhalb des Sektors sein, den das Kameraauge über ihm bestrich. Obwohl ich ihn scharf beobachtete, sah ich es kaum, wie die Tasche aufklappte und der Elefant darin verschwand. Die Kinder hüpften fröhlich, in der Legoburg drehte ein Kran, und Hertwig richtete sich ächzend wieder auf, klopfte Staub von den Mantelschößen, klemmte den Stock wieder korrekt in die Armbeuge, tauschte die Brille. Eine Verkäuferin sprach mich an: Kann ich Ihnen helfen? – Nein, danke, mir wird schon geholfen, eben gerade, ich komme zurecht, gab ich zur Antwort, triumphierend, was die Verkäuferin verwirren mochte, denn sie blinzelte verdutzt, hielt inne, zuckte zurück, als hätte sie einen elektrischen Schlag erhalten.Hertwig hatte schon die beiden Plexiglasplatten vor der Rolltreppe passiert, ohne daß eine Alarmklingel schrillte, ich beobachtete ihn, wie er mit hochgezogenen Schultern, den Stock lässig gegen die Glaswand der Rolltreppe tippend, seine Augen wie Kohlen, in der Menschenmenge unterzutauchen begann. Du entkommst mir nicht! murmelte ich auf dem Weg zum Plüschtierstand, um mich unzweifelhaft davon zu überzeugen, daß der rosarote Elefant fehlte; er war nicht mehr da, ich sah Hertwig unten von der Rolltreppe springen, ich setzte ihm nach, ruhig, meiner Sache nun sicher, er würde mir nicht verlorengehen
    – ein Dieb, lachte Mauritz, ein Dieb! Verdammt nochmal, ja. Paßt zu der Sorte. Jetzt ist er dran
    – wir hatten genug beobachtet. Wir entschieden uns für Freitag in einer Woche, so würde genügend Zeit zum Vorbereiten bleiben. Wir kamen uns großartig vor. Manuela schüttelte zwar den Kopf und sagte, wir seien kleine Jungen, und das Ganze käme ihr reichlich abgeschmackt vor, abgesehen davon auch leichtsinnig, denn wenn etwas schiefginge, könne die ganze Organisation auffliegen, aber Mauritz sagte: Das Schwein hat Wiggo rausgeschmissen, unseren besten Freund, wir sind ihm das schuldig! Der Anlaß war nichtig, er hat Wiggo einfach in den Dreck gestoßen, dieser altlinke Brunnenvergifter, und abgesehen davon ist er ein Dieb! – Aber er