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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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das kleinlich nennen kann. Es war mir egal. Ich wollte das wie kein anderes peinigende Gefühl der Ohnmacht auslöschen,auslöschen, auslöschen. Ich wischte die Zweifel und die Hemmungen weg; sie hatten mir nicht geholfen, hatten mich nicht vorangebracht
    – wenn du bestehst, wirst du bei uns ein und aus gehen und überall willkommen sein. Nach bestandener Initiation herrscht unbedingtes gegenseitiges Vertrauen. Du bekommst Schlüssel, wir haben Wohnungen in Rom, in London, in Kopenhagen. Wenn du willst, lebst du ein Jahr in Paris, ohne jemandem Rechenschaft schuldig zu sein, du kannst in völliger Freiheit deiner Arbeit nachgehen, allein, doch wenn du es wünschst, kannst du an unseren Treffen teilnehmen, dich am geistigen Austausch beteiligen, bei uns sind exzellente Köpfe ... – Und was verlangt ihr dafür? – Na eben! lachte Mauritz, deinen Kopf!
    – wir beobachteten Hertwig. Wir ließen ihn beobachten. Ich lernte, daß es die Cassiopeia nicht erst seit jenem Treffen am Starnberger See gab, sondern daß sie schon vorher existiert hatte, Mauritz’ Werk, er hatte sie geschaffen, ohne bei seinen Geldgebern um Erlaubnis zu bitten. – Meinst du, ich hätte das Risiko eingehen können, mir meine Pläne am Ende noch vereiteln zu lassen? Manche von Großtantchens Leuten sind sehr ängstlich, man glaubt es kaum, und viel zu bürgerlich für eine radikale Lösung. Und wenn sie meinen Vorschlag abgelehnt hätten, dann hätte ich sie vor vollendete Tatsachen gestellt und ihnen Beweise für die ausgesprochen effiziente Arbeit der Cassiopeia geliefert, sagte Mauritz. Ich hatte solche Beweise schon gesehen, davon in der Zeitung gelesen. Die weiße Hand neben verbrannten Boutiquen, zerschlagenen Schaufensterscheiben in der Tauentzienstraße und am Kurfürstendamm, einem Koffer mit Sprengstoff, nachts auf dem Potsdamer Platz abgestellt wie zur Warnung, der das Geschehen auf der Baustelle für den folgenden Tag aus dem Geleis brachte. Ich sah keinen der jungen Männer, die aus denRandbezirken der Stadt kamen, aus den verwahrlosten Plattenbausiedlungen des Ostens, den kaputten, von Arbeitslosigkeit und Bandenkämpfen gelähmten Kreuzberger Kiezen, aus Friedrichshain, Neukölln und Moabit, aber ich wußte, daß es sie gab. – Wir sind schon eine kleine Armee, sagte Mauritz abwehrend auf meine Fragen, aber eine Armee, deren einzelne Teile autark agieren, sie schlagen nie gemeinsam los, wir gehen vor wie Dschungelkämpfer. Guerillataktik. Das kann man lernen von der RAF und von den Kommunisten. Ich hasse sie, nicht ihre Methoden. Wir sind gerade dabei, ein Trainingscamp einzurichten. Auch du wirst dort noch eine Ausbildung erhalten
    – ich selbst beschattete Hertwig, hatte mir dazu extra eine Mütze und einen Mantel mit hohem Kragen gekauft und kam mir, wenn ich ihn in der U-Bahn, über den Nollendorfplatz, in dessen Nähe er wohnte, durch die Einkaufscenter verfolgte, wie ein Agent aus einem James-Bond-Film vor. Hertwig war ein scheuer Mann, der sich oft umblickte, abrupt nach links und rechts ausscherte, immer die Menge zu suchen schien, in der er untertauchen konnte. Dann hatte ich mich schon hinter einer Litfaßsäule versteckt oder so weit zurückfallen lassen, daß er mich nicht mehr bemerken konnte. Ein kleiner Mann, der im Gewimmel der Leute dahintrieb, mit schmalen Schultern, die er immer etwas hochgezogen hielt, der zu großen, abgewetzten Aktentasche, die ich schon kannte, weil er daraus seine Vorlesungsmanuskripte und immer einen Stapel seiner in renommierten Verlagen erschienenen Bücher zu fischen pflegte, einem altmodischen braunen Wollmantel und einem Hut gleicher Farbe, den er tief in die Stirn gedrückt trug, so daß sein strähniges Haar wie eine Garbe Strohhalme darunter hervorstach. Hin und wieder griff er zum Asthmaspray, blieb stehen, hob den Kopf, sprühte sich einen Hub inden Mund. Hertwigs Gang war trippelnd, der Bambusstock, dessen Krücke er in die Armbeuge gehakt hatte, wippte dabei wie eine Wünschelrute. Studenten oder Assistenten begleiteten ihn nie. Montags ging er nach den Vormittagsvorlesungen ins Adermann, eines der teuersten Restaurants der Stadt, und ließ sich dort einen Teller Pellkartoffeln, Quark, Leberwurst und Butter vorsetzen, die der Kellner, es war immer derselbe, mit vollendeter Eleganz und keineswegs pikiert über Hertwigs Wahl, servierte. Dazu trank Hertwig ein Glas Karottensaft, in das er ein Pulver schüttete – ein zerriebenes Prostatamedikament, wie ich von Mauritz

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