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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Clownsfratze, das würde ihm unvergeßlich sein, Angst wirkt, wo sie das Kind angreift, so hatte ich es mir ausgedacht; und daß er empfänglich sein würde, wußte ich seit dem Diebstahl des Stoffelefanten
    – wie ich einstieg mit einem Nachschlüssel, den Mauritz hatte anfertigen lassen von einem seiner Kumpane in der Schlosserei, in der die Ausrüstung für die Unternehmungen der Cassiopeia hergestellt wurde, wie ich bei Hertwig einstieg in die dunkel liegende Wohnung, Mauritz hatte einen Grundriß besorgt, so daß ich mich in den ersten Augenblicken, in denen ich kein Licht einschalten durfte, würde orientieren können, wie ich, nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, gegen einen Stapel Blechdosen im Flur stieß und blindin der Dunkelheit herumfuchtelte, um den Einsturz des Stapels und den Höllenlärm zu vermeiden, der folgen würde, was mir nicht gelang, im Gegenteil, ich warf mit den Händen noch weitere Dosen um, es schepperte und krachte, so daß ich, in der ersten Reaktion, alles abbrechen und aus der Wohnung flüchten wollte; aber der Strahl meiner Stabtaschenlampe, als ich keuchend und vor Erregung zitternd in eine Ecke gedrückt stand, traf ein Chaos, das durch die von mir umgeworfenen Dosen und die herausgeschleuderten Erbsen, weißen Bohnen und Maiskugeln kaum vergrößert wurde: Zeitungen, zerknülltes Papier, Plastikbeutel voller Müll, in einem Verschlag neben einem Kleiderschrank, mit einem schmutzigen Vorhang versehen, aufgeschichtete Briketts, und Staub, überall Staub; ein Flurspiegel, auf dessen Konsole Bürsten festgekrustet waren, Staubbärte an der von Rissen durchzogenen, zur Mißfarbe von Raucherzähnen vergilbten Decke, Staub nicht mehr in der pudrigen, wenige Tage alten Form, Zeitrauch, sondern festgebacken, Schicht um Schicht übereinandergedrückt und dadurch zu einer Art Schorf vergrindet, der die Glaseinsätze der Türen verdunkelt, den Teppich mit einer rußigen, schlierigen Melasse überzogen hatte, so daß die Ornamente des Wirkwerks nur an den Stellen zum Vorschein kamen, wo Hertwig seltener ging: vor dem kleinen Zimmer, das zur Linken an den Flur grenzte und nach meinem Plan eine Art Vorratskammer oder Abstellgelaß sein mußte; vor dem in ein graues Gespenst verwandelten Klavier in einer Nische am anderen Ende des Flurs; vor der Tür zu dem Zimmer, in das ich gehen mußte, um mich dort zu verstecken und auf Hertwig zu warten, der wie an jedem Freitag erst spätabends nach Hause kommen würde. Er hielt Seminare an der Universität und hatte danach Fachschaftssitzungen oder Personalbesprechungen. Dieses Klavier, das den Staub wie eine glitzernde Haut trug,Schleifsand mit hängengebliebenen Angoraflocken, die Messingpedale grünspanüberzogen; ich leuchtete alles ab und fragte mich, wie er es aushielt in dem Schmutz, der Verkommenheit, er, der Asthmatiker war; ich fragte mich, warum er keine Putzfrau bestellte, wenn es ihm zuviel war. Ich lauschte und konzentrierte mich, nun schon wieder ruhiger atmend, ob der Lärm, den ich durch mein Ungeschick verursacht hatte, keine unliebsamen Zwischenfälle heraufbeschwören würde: eine neugierige und mißtrauische Nachbarin, die nachsehen wollte, was es gebe in der Wohnung des Professors. Aber es geschah nichts, niemand klingelte. Ich hörte Fernsehstimmen über mir, sehr laut, als ob dort jemand wohnte, der schwerhörig war. Dann räumte ich die Dosen wieder auf, so gut es ging, fand keinen Handfeger in der vor Schmutz starrenden Küche, der Abwasch von Wochen stapelte sich, ineinandergesintert zu einem Turm aus Kaffeesatz und erstarrtem Öl und Speiseresten; so schob ich die Maiskörner und Bohnen auf eine alte Zeitung, die ich in einen der Müllbeutel steckte, dann wusch ich mir, geschüttelt von Ekel, die Hände im Bad, schloß die Augen vor dem kalk- und kukidentstumpfen Glas, in dem, abgesunken in froschiger Lösung, eine Zahnprothese grinste; vor der leprösen Wand in der Duschecke, die Dusche erinnerte mich an ein Saxophon, so war das lange, suppengelbe, sich trichterförmig verbreiternde Rohr gebogen, sie kam von unten, eine Dusche, deren Gießblume nicht traurig herabhing, sondern das Wasser heraufschießen lassen würde, das Bad mußte schwimmen, wenn Hertwig duschte
    – wie ich ins Wohnzimmer tappte, schwitzend unter meiner Clownsmaske, der Raum lag stockdunkel, wir hatten von der Straße aus gesehen, als Mauritz den Wagen mit abgeblendeten Lichtern ausrollen ließ, daß die Jalousien vor Hertwigs Wohnzimmer

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