Der Eisvogel - Roman
tippten mit ihren Baseballkeulen gegen die Beine des außen sitzenden Mädchens und pöbelten sie an. Vorn baute sich der mit dem Kampfhund auf, ein bulliger Kerl mit schubladenhaftem Unterkiefer und talgiger Haut. Der Hund zerrte an der Leine, kam bis auf Zentimeter an die Beine der Frau heran. Niemand unternahm auch nur das geringste. Im Gegenteil. Die Leute schienen die Situation insgeheim zu genießen, zumal sie bemerkten, daß nicht sie Ziel der Pöbeleien waren. Ich zog mein Handy heraus und wollte die Polizei rufen. Der Notruf war besetzt, ich mußte erneut wählen. Plötzlich sah ich das wutverzerrte Gesicht eines der Skins vor mir, er schlug mir das Handy mit seiner Keule aus der Hand: Wohl auch so ’n Kanakenfreund, was! Mauritz zog Handschuhe über; er wirkte sehr ruhig und beherrscht, als er aufstand und dem Kerl, der seinen Baseballschläger drohend erhoben hatte, sagte: Verschwinde, und melde deinen Kumpanen, sie sollen die Leute in Ruhe lassen! Der Kerl stutzte, wie jemand, der glaubt, sich verhört zu haben, blinzelte, besah sich Mauritz von oben bis unten. Der Baseballschläger wippte in der Luft. Überraschung und Wut wechselten auf dem Gesicht. Machen Sie sich nicht unglücklich, junger Mann, kam es von hinten, aber Mauritz blieb ruhig stehen, fast starr, die Augen auf das Gesicht des Skinheads gerichtet. Keine Angst, sagte er. Willst du den Helden spielen, du Wichser? brüllte der Skinhead und holte aus. Dann ging alles so schnell, daß ich selbst in der Erinnerung, die immer verlangsamt, die Fäden nicht ganz entwirren kann. Der Kerl knickte in derMitte ein wie eine durchgehackte Zaunlatte, der Kopf befand sich in Höhe von Mauritz’ Gürtellinie, Sekundenbruchteile später krachte Mauritz’ Knie von unten mit voller Wucht gegen das Kinn. Der Kerl riß die Arme zur Seite und segelte nach hinten, prasselte in die gegenüberliegende Bank, die die Leute längst verlassen hatten. Ich hörte einen dumpfen Aufschlag. Der Kopf mußte gegen eine Kante geprallt sein. Gleich darauf rann Blut auf dem Boden vor. Dorothea, Patrick, Wiggo: wir saßen alle erstarrt. Das Blut kam auch aus den Mundwinkeln. Der Kerl lag bewußtlos da. Komisch, wie dann Routinedenkmuster zünden, sofort begannen bei mir die üblichen Notfallambulanz-Schemata abzuschnurren: Verdacht auf Schädelbasisfraktur, Pupillenreaktion prüfen, Glasgow-Coma-Scale, CT, Platzwundenversorgung undsoweiter. Mauritz fischte mit einer blitzschnellen Bewegung den Baseballschläger unter dem Sitz hervor. Langsam, wie in Trance, die Waffe in der Hand wiegend, ging er nach vorn auf die drei anderen Skinheads zu, die noch gar nicht richtig begriffen zu haben schienen, was vorgefallen war. Laßt die Leute in Ruhe, wiederholte Mauritz mit heiserer Stimme. Der mit dem Kampfhund stieß ein verblüfftes Glucksen aus, beugte sich nach vorn, wie um sich mit eigenen Augen von der Realität der Geschehnisse zu überzeugen – diese Geste, wenn man darum bittet, in den Arm gekniffen zu werden –, lächelte dann und zog den Nothalt-Hebel. Was hast du gesagt, fragte der Kerl, nachdem die U-Bahn stand und wir uns einigermaßen aufgerappelt hatten. Mauritz war stehen geblieben. Das Licht flackerte, erlosch aber nicht. Ihr sollt die Leute in Ruhe lassen, habe ich gesagt. Die können nichts dafür, daß sie nicht den Vorzug hatten, in diesem Land geboren zu sein, das immer mehr Dummköpfe wie dich hervorbringt. Der Kerl glotzte Mauritz an, wechselte einen Blick mit seinen Kumpanen,hob den Zeigefinger: Du bist dran, Freund, du kommst ins Krankenhaus, dann ließ er den Kampfhund los, der in zwei, drei riesigen Sätzen auf Mauritz zusprang. Jemand schrie. Der Hund prallte zurück wie von einer Betonmauer. Der Kopf war in der gleichen schmetternden Bewegung nach hinten geknickt wie bei dem Kerl, der noch immer reglos zwischen den Sitzpolstern lag und blutete. Der Hund winselte. Mauritz hob die Baseballkeule und ließ sie auf den Schädel des Tieres sausen. Nie werde ich dieses Geräusch vergessen, malmend und knirschend, wie ein Boxhandschuh gegen einen Sandsack rammt oder ein Dreschflegel gegen einen Zentner Mehl. Der Hund blieb liegen. Mit einem Satz war Mauritz über ihm, packte die Keule mit beiden Händen und ließ sie wie einen Vorschlaghammer auf den Schädel krachen. Gehirnbrei trat aus, pappte gegen einen der Sitze. Mauritz stieß den Kadaver unter eine Bank, duckte sich, weil der Besitzer des Hundes auf ihn zurannte mit ausgeschnapptem Messer, aber Mauritz wich
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