Der Eisvogel - Roman
aus und knüppelte ihm gegen das Knie, so daß der Kerl der Länge nach hinschlug. Das Messer rutschte zur Seite. Mauritz las es auf, beugte sich über den Mann und stach es ihm, es schien mir, als suchte er einen Augenblick die günstigste Position, mit unbeteiligtem Gesichtsausdruck in den Oberschenkel. Der Mann brüllte, ruderte mit den Armen in der Luft herum, schrie nach seinen Kumpanen, konnte aber nicht aufstehen. Mauritz hob den Kopf, starrte die anderen beiden an. Die Araber hatten die Köpfe mit den Armen bedeckt. Die Frau wiegte sich hin und her, als schaukelte sie ein Kind. Mauritz sagte: Raus. Die beiden Skins nickten, gingen zur Tür, rüttelten daran, blickten hilflos zu Mauritz. Er glitt leicht gebückt auf sie zu, manipulierte am Türrahmen, riß die Tür auf und befahl die beiden mit einer entschiedenen Kopfbewegung hinaus. Dann nickte er Wiggo zu: Laß unsverschwinden, deutete mit dem Baseballschläger in Richtung des Schlachtfelds und sagte mit seiner heiseren Stimme: Tut mir leid für den Müll da. Wiggo und er verschwanden kurz nach den beiden Skinheads in der Dunkelheit des U-Bahn- Schachts. Dorothea und ich kümmerten uns um die Verletzten. Es ging weiter, an der nächsten Station kam der Fahrer, brachte die Polizei mit. Die U-Bahn wurde gesperrt, Protokolle wurden aufgenommen, wir mußten aufs Revier
– am liebsten wäre ich aus meinem Versteck hervorgekommen, hätte mich dem alten Mann zu erkennen gegeben, so schämte ich mich, und ihn um Verzeihung gebeten, aber die Furcht, er könnte sich zu Tode erschrecken oder es nicht zu einer Erklärung kommen lassen, hinderte mich. Ich saß in dem stickigen Versteck mit in die Stirn geschobener Clownsmaske und hatte Angst, daß Hertwig mich entdecken könnte, wenn ich mich vor zur Tür schlich. Geschieht dir recht, dachte ich. Aus dem Nebenzimmer hörte ich Hertwigs gleichmäßige, rauhe Atemzüge. Von der Straße blinkte Mauritz. Ich wartete noch eine Weile, die mir unendlich lang vorkam, zählte bis dreihundert. Hertwig wachte nicht auf, als ich die Wohnung verließ, das rauhe Atmen war in Schnarchen übergegangen
– Du hast nicht bestanden, ist dir das klar? – Laß mich in Ruhe! – Und ich habe für dich gebürgt, mit meinem Namen ... Du hast mich enttäuscht
J ost ist ein angenehmer Mensch. Wenn Chefvisite ist, rückt eine weiße Traube ins Zimmer; er spreizt sich nicht eitel, wie es manche seiner Kollegen tun, klappert nicht, die Hände in den übervollen Kitteltaschen, mit irgendwelchen darinbefindlichen Gegenständen herum, sondern hält sich neben der Stationsschwester und übersetzt ihr das Kauderwelsch des Professors und seiner Oberärzte, die mit sterilen Pinzetten über meine Wunden gebeugt stehen oder mit zweifelnd gerunzelter Stirn Röntgenbilder betrachten und Augurenworte murmeln, in brauchbare Anweisungen. Ich glaube, daß die Stationsschwester die Chefvisiten haßt, weil sie die Ordnung durcheinanderbringen, die sie in mühevoller Arbeit aufgebaut hat, weil die jungen Ärzte, das kann man ihrem Gesichtsausdruck entnehmen, wenn sie mißtrauisch über die Ränder ihrer Brille äugt, von nichts eine Ahnung haben und mit ihren ungeschickten Händen, wie sie nicht einmal bei Schwesternschülerinnen vorkommen, alles unsteril machen. Ich genieße Sonderstatus. Ich begreife kaum etwas von dem, was die Ärzte sagen, aber ich bin der, um den es geht, so will es mir scheinen. Jost wird, wenn die Traube das Zimmer verlassen hat und auch mich ein letzter mißtrauischer Blick der Stationsschwester gestreift hat, noch einmal zurückkommen und mir die entschieden, aber sehr knapp vorgetragenen Anordnungen des Professors erklären, und wenn er nicht kommt, weiß ich, daß er keine Zeit hatte, sofort in den OP mußte oder sich, umschwirrt von Schwestern- und Pflichtassistentenschwärmen, ins laue Bad der Stationsroutine geworfen hat. Wenn der Stationsarzt operiert, führt Jost die Geschäfte, und er führt sie gut, wie ich höre, die Patienten sind zufrieden. Endlich mal einer, der klare Worte spricht, sagen sie, der weiß, was er will und nicht denkt, daß wir blöd sind. Manchmal verliert er Zeit, wenn er bei mir ist, wenn er wissen will, was ich lese und mir mit einem traurigen Unterton in der Stimme, der sowenig zu hartgesottenen Unfallchirurgen passen will, sagt, daß er kaum noch Zeit habe für Lektüre außerhalb der Fachblätter, Bürokratie und Lehrbücher; wenn er die CDs begutachtet, die mir Dorothea schenktoder aus meiner Wohnung
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