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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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selbst, daß sie alle Idioten sind? Nichtswürdige Herdentiere, getrieben von Ängsten, töricht und sentimental, allem Kitsch und allen Soap-operas dieser Welt verfallen; kennst du sie überhaupt, diese Menschen! Das erscheint mir ein wenig widersprüchlich, Mauritz! Erst zeigst du deine Verachtung, plötzlich entdeckst du deine Liebe zu ihnen, – Ah, der kleine Philosoph fällt mir in den Rücken, sieh da. Hildegard hat ihn gelobt und eingeladen, langweilige Starnberger Abende mit seiner Anwesenheit zu verschönern, schon wird er mir gegenüber illoyal. Großartig, das ist genau das, was wir gebrauchen können, was meinst du, Schwesterherz? – Du bist manchmal, so auch jetzt, ein riesengroßes Arschloch. Bitte entschuldige, Hildegard. Mauritz lachte. Auch meine Schwester hast du schon eingewickelt mit deinem dir offenbar angeborenen Charme! Schau, Wiggo, trotzdem bist du mir sympathisch. Du duckst dich nicht, du widersprichst, hast deine eigene Meinung. Nein, ein Herdentier bist du nicht. Aber was du vorbringst, ist wirklich uralter Kram. Ich hätte Besseres von dir erwartet ... Das ist genau die Art Einwand, die immer kommt. Alle Umwälzung hat auf diese Weise stattgefunden, wie ich sie postuliere. Immer gab es einen, der den anderen den Weg gewiesen hat. Alexander, Napoleon, Lenin, Stalin. Und immer gab es bei diesen Umwälzungen Opfer. Im übrigen: Liebe. Das ist ein großes Wort mit vielen Manteltaschen. Und in jeder steckt eine andere Maske. Schau, es heißt zum Beispiel: Ich liebe dich, und aus Liebe quäle ich dich. Oder mich? Er lachte heiser
    – ihr seid also unsterblich, interessant, und woraus schließt du das?
    – wir sind unsterblich, solange wir eine große Aufgabe zuerfüllen haben, und nichts kann uns davon abhalten, solange sie noch nicht getan ist – wie bei Napoleon, wie bei Alexander, sie waren dazu da, eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen
    – eingesetzt vom Weltgeist, aha
    – du machst dich lustig, aber das wird dir noch vergehen
    – würdest du töten, Mauritz
    – Organisation Wiedergeburt – pah! Die wissen doch nicht einmal, was genau wiedergeboren werden soll! Der Bischof will den Kirchenstaat wie Papst Gregor VII., ein Ultramontanist wie er im Buche steht ist dieser scheinheilige Pfaffe, wer hätte das gedacht ... Der heiligen Mutter Kirche will er alles einverleiben, dann sind wir Betbrüder, Wiggo, ich freue mich schon, dich in der Kutte zu begrüßen, und Manuela wird Nonne! Er lachte schallend. Manuela und Nonne! Weißt du eigentlich, wie viele Verehrer sie hat? Mehrere an jedem Finger. Aber sie will von keinem einzigen etwas wissen. Sagt sie. Dabei ist sie heißblütig, mein Schwesterchen, sinnlich und leidenschaftlich, du glaubst es kaum. Sie wirkt so kühl, so beherrscht, so kaltmeisterlich, sie sitzt in der Runde und hört uns zu, wie wir uns ereifern, sie sagt nichts und ißt Maraschinokirschen und nippt am Wein, schlägt ein Bein über das andere, und nach zehn Minuten das andere wieder über das eine, tagsüber hilft sie Großtantchen beim Geschäftemachen, telefoniert und mailt und fliegt in der Weltgeschichte herum, damit dort die Fugen, aus denen die Zeit ist, gefälligst mit der Dichtmasse aus Großtantchens Fabrik zugekleistert werden, aber was sie abends und nachts treibt, das weiß keiner so recht, dann fährt sie meist nach München zurück, sie hat da eine Wohnung, – Warum sagst du mir das? unterbrach ich Mauritz. Ich will es nicht wissen, es interessiert mich nicht und geht mich auch nichts an, was deine Schwester macht, und ich finde, daß du nicht so von ihr sprechen solltest, so,– Indiskret? half mir Mauritz mit halbem Lächeln. Soso, du willst es nicht wissen ... Mein lieber Freund, denkst du, ich habe keine Augen im Kopf? Du starrst sie an, und wenn du spürst, daß ihr Blick deinen treffen wird, schaust du rasch zur Seite, wirst rot wie ein Schuljunge und mußt schlucken! Ich sehe das und denke mir: Zack, wieder einer, der ihr verfallen ist wie die Fliege dem Honigtropfen. Aber es geht noch weiter. Ich habe ihr soviel von dir erzählt, daß sie mir eines Abends sagte: Weißt du was, Mauritz, sagte sie, ich kenne ihn gar nicht, ich weiß nicht, wie er aussieht, ob er groß ist oder klein, häßlich oder attraktiv, wie er sich benimmt, wie er redet ... Aber kannst du dir vorstellen, daß das manchmal ganz egal ist? Einmal habe ich mich in einen Mann verliebt, von dem ich nichts anderes wußte, als daß er schöne Briefe schreibt, ganz wunderbare Briefe

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