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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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hat er mir geschrieben, leidenschaftlich, zärtlich, intelligent, hochfliegend und beckmesserisch und manchmal auch völlig traumverloren. Und dann gestand sie mir, daß sie dich kennenlernen möchte und daß sie dich schon jetzt gern habe. Und so etwas sagt sie nicht so schnell, obwohl sie sich als sechzehnjähriges Mädchen so ziemlich in jeden halbwegs gutaussehenden Kerl verknallt hat. Sogar in solche, die nur von Plakatwänden lächelten. – Laß dieses Thema! herrschte ich ihn an. – Es gefällt dir nicht, wenn man dich lobt? Und du glaubst, daß du deswegen nicht eitel bist? Von wegen. Es liegt eine viel tiefere, gefährlichere Form von Eitelkeit unter solcher Abwehr des Lobs. Aber das will ich jetzt nicht weiter ausführen. Mauritz senkte den Kopf, legte die Hände auf den Rücken, dachte nach, kickte Steinchen beiseite. Als er zu den Feiernden hinübersah, die gelassen vor den Büfetts auf und ab gingen, tanzten, vor dem Wintergarten beisammensaßen, verfinsterte sich sein Gesicht. Ich glaube, die wollen, daß das Zeitalter, in dem einem diegebratenen Tauben in den Mund flogen, wiedergeboren wird! murmelte er und winkte verächtlich ab. Der einzige außer uns: Manuela, dir und mir, der was taugt, ist Frenss. Vielleicht noch Edgar, unser Altachtundsechziger und Schnapsfabrikant mit dem unter seinen klugen und abwägenden Kommentaren immer noch schlagenden umstürzlerischen Herz! Ja, der tut nur so gewandelt. In Wahrheit ist er verzweifelt, weil die Ideale seiner Jugend den Bach runtergingen, und er haßt sich selbst, weil er es auch nicht weitergebracht hat als die, die er in seiner Jugend verachtete! Den Schnapsladen hat er nämlich von seinem Vater übernommen ... Mit fünfundzwanzig wollte er es wegfegen, das Kapitalistenschwein, so hat Edgar es einmal ausgedrückt, und jetzt, mit knapp sechzig, ist er selbst ein solches Kapitalistenschwein! Und will mir edle Weinbrände schicken, die mir meinen Geist aufhellen sollen, den einseitigen, bösartigen! Tja. Frenss macht sich wenigstens keine Illusionen. Mauritz nahm plötzlich eine der Porzellanfiguren, die in regelmäßigen Abständen den Weg säumten, vom Sockel, wog sie in der Hand, es war ein süßlich lächelndes, harfezupfendes Engelskind, betrachtete es angewidert und spuckte ihm ins Gesicht. Dann schmetterte er die Figur mit aller Wucht in ein Gebüsch. Dieser dämliche Nippes, zu dem hat Großtantchen einen Hang! War bestimmt eine hübsche Stange Geld wert, der Schund, ist nämlich Nymphenburger. Scheiß drauf! So muß man es machen. Man muß es durchbrechen, dieses ewige Einerlei, dieses Immergleiche, es muß durchbrochen werden, wenn es wirklich zu einer Wiedergeburt kommen soll – tja, wovon? Und ich muß das Mittel sein. Wenigstens in diesem Land, zum Erlöser der ganzen Menschheit will ich es gar nicht bringen. Man muß schließlich realistisch sein, sagte er mit schneidendem Spott und sah mich an dabei, vielleicht, um möglichem Spott meinerseits vorzubeugen
    – hast du das Wort Größenwahn schon mal gehört, Mauritz
    – ja, das kommt an dieser Stelle immer, aber wenn nicht die Größenwahnsinnigen – wer verändert dann die Welt?
    – schließlich, Ehrwürden, wir müssen uns selbst überwinden, nicht wahr? Steht es so nicht geschrieben? Opfere, und für das Opfer, das du leistest, wird dir die höchste Belohnung zuteil, die Liebe der Menschen, die erkennen, was du für sie gegeben hast. – Werden sie es erkennen, Mauritz? Der Bischof lehnte den Kopf zurück, hielt die Augen geschlossen, sein Gesicht zuckte. Werden sie es erkennen? Du forderst den scharfen Blick, aber gibt es ihn, gibt es ihn noch? Hat es ihn je gegeben außer bei seltenen, großherzigen, der Nächstenliebe verbundenen Menschen? Manchmal glaube ich, daß alles, was die Zeit heute so finster macht, aus dem Mangel an ebenjenem scharfen Blick herrührt, die Menschen erkennen einander nicht mehr, sie sind blind füreinander, und wer es nicht ist, der will für sein Leben nicht das, was der andere will, – Es sind die alten Fragen. Mauritz hatte wie der Bischof den Kopf zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Gerecht und ungerecht, gut und böse. Ist es nicht böse, wenn der eine die Unterordnung des anderen fordert? Und wer soll es sein, dieser Mensch, der über den anderen steht, woraus bezieht er das Recht, sich über andere zu stellen, zu sagen: Ich bin es, ich werde euch führen, und, viel interessanter: Wie kann es sein, daß die anderen das mit sich machen lassen?

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