Der Eisvogel - Roman
jemand stirbt, der dir nahe ist: Manuela
– sie stirbt nicht
– ach nein
– nein: Wir sind unsterblich, Wiggo
– aber, Mauritz, die du da, hm, erlösen willst, mit Terror ... Liebst du sie denn? – Ja, Großtantchen! versuchte Mauritz zu scherzen, aber ich sah gleich, daß der Freifrau nicht zum Scherzen zumute war. Sie richtete sich auf, auf ihremGesicht lag ein drohender Ausdruck. Alles Liebenswürdige, Charmante war aus ihrer Haltung verschwunden. Es mochte ihr Alltagsgesicht als Vorsitzende der Usar-Holding sein, das sie jetzt hervorkehrte, das Gesicht, mit dem sie unfähige Mitarbeiter abkanzelte, Entlassungen aussprach, Konferenzen abhielt, Geschäftszahlen studierte. Ich kannte dieses Gesicht, es war auch Vaters Gesicht. – Nenne mich nicht Großtantchen, das habe ich mir schon einige Male verbeten, Mauritz. Ich möchte dir sagen, daß ich es nicht richtig finde, wie du mit meinen Gästen umgehst. Du provozierst, benimmst dich wie ein Rüpel, pöbelst Herrn Ritter an, der dir gar nichts getan hat. Du solltest froh sein, daß er hier ist! Er ist ein feiner Mensch (bei diesen Worten überlief es mich heiß, ich spürte, daß ich rot wurde, Manuela wandte den Kopf zum See, um sich ein Lächeln zu verbeißen); ich habe mich mit ihm unterhalten, und du solltest froh sein, einen Freund wie ihn gefunden zu haben! Ich habe ihn liebgewonnen, und ich sage dir das eine: Wenn du es schaffst, Herrn Ritter derart vor den Kopf zu stoßen, daß er dir die Freundschaft kündigt – ich werde ihm die Freundschaft nicht kündigen. Sie können mich besuchen, wann immer Sie wollen, Herr Ritter (Manuelas Nasenflügel flackerten vor unterdrückter Lachlust), auch ohne Mauritz – und auch ohne Manuela. Du findest das offenbar sehr lustig, was ich zu sagen habe. Ich finde dein Verhalten albern, meine Liebe, wir sprechen noch darüber. Du bist doch kein kleines Mädchen mehr, das über alles kichert, was es nicht versteht. Manuela legte den Zeigefinger auf die Lippen und lachte nicht mehr. – Du glaubst mir also nicht, fuhr Mauritz dazwischen, blaß geworden. Du glaubst nicht, daß ich die Menschen lieben kann? – Ja, das ist es eben. Die Menschen. Die liebst du vielleicht. Aber liebst du auch den einzelnen? – Es steht dir nicht zu, mich so etwas zu fragen! Mauritz sprang auf. Es steht dir nicht zu, weil ... esmich beleidigt, weil ... es mir verrät, daß du mich überhaupt nicht kennst, so etwas kann nur jemand fragen, der mich nicht kennt, Hildegard, aber du kennst mich, und ich meine mit Beleidigung, daß ich aus deiner Frage entnehmen muß, daß das möglicherweise doch nicht der Fall sein könnte, – Halt den Mund! donnerte die Freifrau. Was steht mir nicht zu! Ich bin überrascht, wie wenig Kritik und Nachfrage du verträgst, du, der sich ganz und gar nicht zurückhält, wenn es darum geht, die anderen zu prüfen! Und kaum will man einmal von dir etwas genauer wissen, wirst du ausfällig! Ich darf dich in aller Ruhe daran erinnern, von wem das Geld für unsere Organisation hauptsächlich stammt. Ich betrachte das jetzt gewissermaßen als Mitglied einer Aktionärsversammlung. Da muß man sich auch manch unliebsame Frage gefallen lassen, wenn man will, daß die Leute in einen investieren. Und es muß schon gestattet sein, daß ich dich und deine Ideen jetzt einmal unter unternehmerischen Gesichtspunkten betrachte ... Nicht, daß ich dir nicht wohlgesinnt wäre, aber das ist mir alles zu emotional, wir sollten das nüchterner halten, wir sollten es mit klaren, kühlen Köpfen betrachten. Mehr geschäftlich. – Na, Wiggo, murmelte Mauritz mit kaum unterdrückter Wut, kommt dir das bekannt vor? So könnte auch dein Alter reden, hm? Krämer aller Länder, vereinigt euch! Die Freifrau krümmte die Lippen zu einem Lächeln und zuckte die Achseln. Das ist billig, Mauritz, unter deinem Niveau. Ich will wissen, was hinter den großen Worten steckt, die du von dir gibst. Ich wiederhole: Liebst du den einzelnen Menschen? Du, der du keine drei Tage mit einem Fremden in einem Zimmer leben kannst? Schon widert er dich an, die Art, wie er geht, wie er sich schneuzt, wie er morgens immer mit denselben Ritualen immer das gleiche Frühstück schmatzt ... Ich hatte bisher stumm zugehört, aber auf einmal packte mich die Lust, in das gleiche Horn wie die Freifrauzu stoßen und Mauritz die vielen Sticheleien und manchen Beleidigungen ein wenig heimzuzahlen. Ja, mischte ich mich ins Gespräch, und diese Menschen: sagtest du nicht
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