Der Eisvogel - Roman
daß Sein Reich kommen und daß Sein Wille geschehen wird! Das wird sie sein, die Wiedergeburt ... – Veni, Creator Spiritus, sagte Mauritz spöttisch. Und wenn er nun nicht kommt? – Wiedergeburt, sagte Edgar, ich glaube daran, daß alles hier unten abgemacht wird. Und wenn nicht: Vielleicht werde ich mal als Kieselstein im Mississippi wiedergeboren oder als ein Faultier im Berliner Zoo? Mich interessieren weniger die Sterne und die jenseits davon gelegenen Landschaften, Ehrwürden und Herr Kaltmeister, mich interessieren Machtveränderungen in diesem Land. Konkrete Dinge. Wie gelingt es uns, daß die Leute sich für die wirklich wichtigen Dinge wieder interessieren? – Und was halten Sie für die wirklich wichtigen Dinge? fragte der Bischof nicht ohne eine Spur Hohn. – Zum Beispiel, daß die Flimmerkisten ausbleiben, entgegnete Edgar ruhig. Das mag Ihnen sehr profan vorkommen, ein ganz und gar irdischer Wunsch, gewissermaßen, aber ich glaube, daß das eine sehr wichtige Errungenschaft wäre. – Aber dann hätten Sie die zugkräftigste Werbung für Ihren Wacholder nicht mehr, und was dann?Mauritz lächelte geringschätzig. – Herr Kaltmeister hat heute abend einen recht speziellen Humor. Das Fernsehen ist, Sie erlauben, Ehrwürden, daß ich mich ausnahmsweise einmal Ihrer Terminologie bediene, ein wahres Teufelsgerät. Ja, es ist der moderne Altar, aber Satan hat ihn gestiftet, auf daß den Leuten ein Flutlicht aufgehe. Politik ist wichtig, denn das meint die Art und Weise des Zusammenlebens ... – Immer noch der alte Achtundsechziger! Auch eine Kirche! Der Bischof versuchte ein Schmunzeln, aber es hing schief im Gesicht und verzerrte es zur Grimasse. – Noch einmal zurück zu dem, was du vorhin sagtest, Wiggo, alles schon mal dagewesen undsoweiter. Ja, du magst recht haben. Nur: Was folgt daraus? – Daß wir nur Episode sind, Mauritz. Der Bischof hatte die Hand gehoben und mit geschlossenen Augen gesprochen, seine Augenlider zitterten. Das folgt daraus. Wir sind nur ein Durchgangsstadium, wie es die finsteren Jahrhunderte nach dem Zerfall Roms waren. Da gibt es hier einen Scholastiker, da einen; Augustinus gibt es, Eriugena und noch einige andere, über die Herr Ritter wahrscheinlich besser Bescheid weiß als ich. Aber sonst? Kunst, Architektur, Literatur? Etwas, das sich den Leistungen der Antike auf diesen Gebieten annähernd an die Seite stellen ließe? Und wir? Haben wir noch einen Picasso, einen Kafka, Tolstoi, Balzac? Gibt es einen Mozart, einen Bach oder Richard Wagner unserer Tage? Ich sehe sie nicht, lese sie nicht, höre sie nicht. Das mag an mir und meiner Ignoranz liegen, und dennoch ... Wir stehen im Sonnenuntergang, die Schatten werden länger, und bald wird es Nacht sein. Und wie lange wird sie dauern, diese Nacht? Was wird darin geschehen? Das sind Fragen, die mich unaufhörlich beschäftigen. Was kann Gottes Wort noch bewirken, wenn wir, seine Vermittler, so gut wie nichts mehr bewirken? Wirkt es ohne uns ...? Manchmal habe ich Zweifel, Mauritz ... Vielleicht weißtdu nicht, wie das ist, du wirkst sehr hart und kompromißlos, nicht so wie die meisten Menschen, die weich sind, fehlbar und voller Widersprüche ... Cave obdurationem cordis! Mauritz ... Hüte dich vor der Verhärtung des Herzens!
– jeder von uns tötet für seine Ziele, auch du
– du spielst dich hier als großer Seelenkenner auf, Mauritz, aber mir erscheinst du nur als Seelenschänder. – Ach was. Nicht soviel Moralin drübergießen, mein Lieber. Seele, hm. Das ist wohl eher etwas für Ehrwürden. Übrigens, weißt du, daß Jost deine Schwester vögelt? – Meine Schwester vögelt nicht, du Schwein! preßte ich hervor, die Hände weiß vor Anstrengung, die Stuhllehne zu umklammern, mich zu beherrschen und sitzen zu bleiben. – So? Nicht? Was macht sie denn dann? Schläft sie bei? In der Familie Ritter geht es edler zu als bei unsereins. Nein, den Schmutz der Wirklichkeit lassen wir nicht herein zu uns. Dorothea und Jost, sie treiben’s nicht miteinander, nein, sie ’aben amour, oder: sie vereinigen sich, oder: sie kommen zusammen, oder: es geschah, oder: sie erkennen sich ... Und der Freund deiner Schwester, dieser Patrick, treibt’s nebenbei mit einer Cutterin und mit einer Moderatorin einer Montagnachmittag-Fetisch-Talkshow, und sein Geld verbrät er für Koks erstklassiger Qualität! – Und du, was machst du? Hast du überhaupt jemanden? Im Grunde bist du ein armes Würstchen, Mauritz, murmelte ich, voller
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