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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Haltung folgt, abwehrendem Ausstrecken dürrer, runzliger Hände mit zu schweren Goldringen und Brillanten, deren Größe widerspruchslos von krallenartigen Fingern ablenken soll. Jagdzimmer, dachte ich, als ich eingetreten war und die Freifrau als apricotfarbener Schimmer vor herabgelassenen Jalousien hin- und herlief und Kerzen anzündete, deren Flammen wie Blätter eines Messingbaums aufblinkten, die, zu Funken verkleinert, in den Pupillen ausgestopfter Vögel wiederkehrten. Einige Sekunden blieb die Freifrau stehen, lauschend, das brennende Streichholz in der seltsam verrenkt erhobenen Hand. Sekunden voller Melancholie und Erinnerungen, von denen Manuela und ich ausgeschlossen waren; aber die Freifrau stand mit halb uns zugewandtem Körper, als wollte sie sagen: Hört ihr nicht? Doch ich sah den Elefanten, dessen Kopf mit den aufgebogenen, von der Zeit gegilbten Stoßzähnen und der Schußwunde im Auge auf einer tischplattengroßen Holzscheibe an der Wand hing, nicht in dem Moment, in dem der Freiherr von Usar über sein Leben, seinen Tod entschieden hatte, den Zeigefinger am Druckpunkt eines Gewehrabzugs; konnte esmir nur vorstellen, wie der Freiherr sich an Damhirsch und Leopard, den Eber mit den Messerhauern, den Elch mit dem mächtigen Schauflergeweih und den jetzt unter einer dicken Staubschicht grau gewordenen Bären mit aufgerissenem Fang herangepirscht hatte. Ich hörte nichts außer dem Schweigen des Staubs. Aber als ich vor dem Reiher, der seinen Kopf ebenso schräg hielt wie die Freifrau, den Blick niederschlug, sah ich mich plötzlich in meiner Wohnung; dieser tote, fast mannshohe Reiher würde im Wohnzimmer stehen und mich abends, wenn die Einsamkeit der Nachmittage wieder von Illusionen leicht gemacht und angehoben wird, wie ein böser Zauberer ansehen. Seine aus Feuersplitterchen bestehenden Augen würden sagen: Du bist ein Philosoph ohne Philosophie, ein Liebender, der noch nie geliebt hat – und ich würde verzweifelt sein und ihn zu zerstören versuchen, aber der Blick seiner Feuersplitteraugen würde mir für immer im Herz stecken, nie würde ich ihn vergessen und seinen stummen, vergiftenden Vorwurf. Ich würde wissen, insgeheim, daß er recht hatte, und ahnen, daß, wenn ich die Hand gegen diesen Vogel hob und zuschlug, er in tausend Spiegelscherben zerbrechen würde. Manuela fragte leise, ob ich gehen wolle. Plötzlich strich mir die Freifrau übers Haar, ihre Stimme klang hart und beherrscht, aber sie hatte, doch vielleicht täuschte der Schimmer des Kerzenlichts, Tränen in den Augen. Sie erinnern mich an ihn, sehr, vielleicht zu sehr ... Sie sollten öfter kommen oder besser doch nicht? Vielleicht sollten Sie nicht kommen ... Nein, ich rede Unsinn. Natürlich müssen Sie kommen. Fühlen Sie sich hier wie zuhause. – Dann werde ich gehen, sagte ich, vorsichtig lächelnd. – Oh, ich verstehe. Ich verstehe. Nun, dann fühlen Sie sich, als ob Sie hier zuhause sein wollten. Manuela begleitete mich zur Terrasse, wo die Lampions im Wind baumelten. Die Freifrau kam erst nach einiger Zeit; dasGesicht war wieder bleich und wirkte entschlossen wie vorhin im Wortwechsel mit Mauritz; sie hatte das Rouge erhöht und Lippenstift nachgezogen. Sie setzte sich und starrte ins Leere. Wir schwiegen. Der Bischof trank sein Glas aus, Edgar kam vom See zurück, das Jackett über den Schultern. Ich beobachtete die Freifrau, die völlig reglos saß, den Blick aus halbgeschlossenen Augen in eine imaginäre Ferne gerichtet. Ihre Hände hatten sich um die Stuhllehnen gekrampft. Sie schlägt gerade mehr tot als nur die Zeit, flüsterte Manuela mir zu. Ich fuhr zusammen im Wärmeschauer, der mich überrieselte, als ihre Lippen meine Ohrmuschel streiften. Lady Knize, das sich mit dem Geruch von Nachtblumen mischte, die in der Dämmerung ihre Blüten geöffnet hatten, der regenschwangeren Luft. Sizilien, sagte die Freifrau plötzlich in das Schweigen hinein. Dort lebt ein stolzer, herrischer Menschenschlag. Als Herbert noch lebte, sind wir jeden Sommer dort gewesen. Ein lethargisches, sonnenverbranntes Land, arm, hoffnungslos und hochfahrend, bewohnt von Dunkelmännern und Granden. – Aber das ist Literatur. Mauritz zündete sich ruhig einen Zigarillo an. Literatur ist Einkreisung des Schicksalsbegriffs. Es gibt keine Granden mehr, Hildegard. Und auch in Sizilien stirbt, was gewesen ist. Die Freifrau seufzte. Die Zeit ist gegen das Besondere. Herbert war ein Grande, du bist einer, und vielleicht Sie auch, Herr

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